Literatur aus dem Exil:Flamme und Schmetterling

1984 hat der afghanische Künstler und Autor Atiq Rahimi seine Heimat verlassen und lebt seitdem im französischen Exil. In seiner "Heimatballade" sind die Bilder stärker als die Worte.

Von Jörg Magenau

Für Atiq Rahimi ist das weiße Blatt Papier in seinem Atelier eine Herausforderung. Er will über sein Exil in Frankreich und über die verlorene Heimat Afghanistan schreiben. Aber das Blatt bleibt monatelang leer; es erinnert ihn allenfalls an den letzten Blick zurück über die Grenze in eine verschneite Ebene, damals, bei seiner Flucht im Jahr 1984. Schließlich ist es dann nicht der Schriftsteller, sondern der Maler Atiq Rahimi, der einen ersten Zugang findet. Es ist nur ein Strich, der aussieht wie das Alif, der erste Buchstabe des arabischen Alphabets. Buchstaben sind für ihn körperliche, weibliche Wesen. Und so entwickelt er daraus seine Kunst der "Kallimorphie". Das sind zwischen Zeichen und Zeichnung angesiedelte Abstraktionen, die er ins Figürliche hinein belebt oder, wie er selber das nennt, "musikalische Partitur eines Körpers als Schrift". Diese Schrift hat sehr viel mit Erotik und Begehren zu tun - also auch mit Abwesenheit: Im Exil zu leben bedeute, die Sprache und den Körper zurückgelassen zu haben. Also muss er beides aus der Schrift heraus wiedergewinnen.

Rahimi ist eher ein Mann der Zeichen als einer der Worte. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn er es dabei beließe. Die Illustrationen in seiner "Heimatballade" sind in ihrer aufs Wesentliche reduzierten Verknappung äußerst eindrucksvoll. Ein paar Linien und Schriftzeichen reichen aus, um Adam und Eva und die verweisende Hand des Engels bei der Vertreibung aus dem Paradies darzustellen, mit der das Leben auf der Erde von allem Anfang an eine Exil-Erfahrung geworden ist. Die Geburt als Verlust des schützenden Mutterleibes wiederholt dieses traumatische Urerlebnis.

Literatur aus dem Exil: Atiq Rahimi: Heimatballade. Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze. Ullstein Verlag, Berlin 2017. 192 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Atiq Rahimi: Heimatballade. Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze. Ullstein Verlag, Berlin 2017. 192 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Doch das war es dann auch schon fast: Viel weiter kommt Rahimi nicht in seiner Klage ums Exildasein. Wahllos zitiert er aus hinduistischen, islamischen und christlichen Quellen, würzt ein bisschen mit europäischer, vorzugsweise französischer Philosophie, ein Sätzchen Hegel, ein Sätzchen Foucault, aber stets ohne Kontext und Zusammenhang. So entsteht eben keine Erkenntnis, sondern bloß eine Aneinanderreihung von Poesiealbumsätzen zwischen Mystizismus und Edelkitsch. Rahimi ist alles andere als ein Denker. Auch das wäre nicht weiter schlimm, wenn er nicht so ausdauernd Denken simulieren würde.

Leider erliegt Rahimi der Versuchung, für alle Exilierten dieser Welt sprechen zu wollen

Dass er erzählen kann, hat Rahimi in dem mit dem Goncourt-Preis ausgezeichneten Roman "Stein der Geduld" bewiesen, in dem eine Frau in einem abgelegenen Dorf in Afghanistan ihren im Koma liegenden Mann pflegt. "Heimatballade" aber ist ein merkwürdiges Sammelsurium aus wenigen und wenig erhellenden autobiografischen Bruchstücken, sehr viel schwadronierender Bedeutungshaftigkeit und bekenntnishaftem Pathos, das sich schon daraus auf ungute Weise ergibt, dass Rahimi stellvertretend für alle Exilierten dieser Welt schreiben möchte.

In diesem Gebräu verborgen finden sich jedoch immer wieder kleine Kostbarkeiten, Legenden und Anekdoten, wie die von den Schmetterlingen, die sich um eine Kerzenflamme herum versammeln, weil sie endlich herausfinden wollen, was sie daran so anzieht. Das Licht, sagte der erste. Die Wärme, meint der zweite, und so weiter, bis schließlich der letzte sich in die Flamme stürzt und verbrennt. Er hat verstanden, sagen die zurückgebliebenen. Aber er hat sein Geheimnis mit in den Tod genommen.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch Heimatballade stellt der Verlag hier zur Verfügung

Es wäre Rahimi zu wünschen gewesen, dass er seine Geheimnisse für sich behalten hätte. Seine Kallimorphien sind ja gerade deshalb so faszinierend, weil sie mehr verbergen, als sie zeigen und weil sie sich in ihrer Zeichenhaftigkeit verschließen. Doch dann erklärt er umständlich und langatmig, was es damit auf sich hat, als hätte er noch nie davon gehört, dass Künstler, die ihre Kunst erklären, sie dadurch nicht unbedingt reicher machen, sondern manchmal auf eine gerade bestürzende Weise flach. Schade drum.

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