Literaten bei Schröder:"Ich spürte die Verführbarkeit der Intellektuellen"

Und wirklich alle waren schon einmal da, beim Kanzler. Die jüngeren Literaten zeigen sich regierungsnäher, als man dachte. Sie erliegen dem Charme der Regierungs-Nonchalance. Allerdings: Den Joschka, bei dem sie auch schon alle suppierten, den Joschka fanden sie langweilig. Hier ist der Report zu den heimlich-heimeligen Kultur-Clashs im Kanzleramt.

IJOMA MANGOLD

Fast etwas Verlegenes muss Gerhard Schröder gehabt -- oder es zumindest gespielt -- haben, als er eine kleine Gruppe von Suhrkamp-Autoren samt Verleger Siegfried Unseld und Gemahlin Ulla Berkéwicz in seinem damaligen Dahlemer Haus empfing, erzählt der Schriftsteller Norbert Gstrein. Etwa acht Autoren hatte der Verlag zusammengestellt für die Abendeinladung beim Kanzler. Dieser stand in seiner kompakten Physiognomie im Eingang seines Hauses, hinter ihm hing ein modernes Kunstwerk an der Wand, was genau darauf zu sehen war, kann sich Gstrein nicht mehr erinnern, aber er weiß, auf welch klare und doch zurückhaltende Weise der Kanzler auftrat: Sehr zugewandt, vielleicht eine Spur zu jovial, in jedem Fall bestens gebrieft, er wusste mit jedem Autor etwas zu verbinden, und was er sagte, wirkte nicht aufgesagt. "Ich fand es schön", sagt Norbert Gstrein.

Literaten bei Schröder: Er wollte wirklich etwas wissen von seinen Gästen. Sehr lange und intensiv etwa habe der Kanzler sich mit Rainald Goetz unterhalten. Davon hätte man gerne ein Foto. Haben wir nicht. Dafür zeigen wir den Kanzler beim Besuch an der Uferpromenade der Kultur- und Freizeitlandschaft am Tagebausee Goitzsche in Bitterfeld. Da wird auch nah am Wasser gebaut.

Er wollte wirklich etwas wissen von seinen Gästen. Sehr lange und intensiv etwa habe der Kanzler sich mit Rainald Goetz unterhalten. Davon hätte man gerne ein Foto. Haben wir nicht. Dafür zeigen wir den Kanzler beim Besuch an der Uferpromenade der Kultur- und Freizeitlandschaft am Tagebausee Goitzsche in Bitterfeld. Da wird auch nah am Wasser gebaut.

(Foto: Foto: dpa)

Kürzlich auf einer Podiumsdiskussion zum Thema "Literatur und Politik" durfte der Moderator überrascht feststellen, dass seine drei Gäste, Autoren der mittleren Generation, alle schon einmal einer Abendeinladung ins Außenamt zu Joschka Fischer gefolgt waren. Damit hatte der Moderator nicht gerechnet. Die Generation Willy-Wählen, ja die waren in ihrem ganzen utopischen Überschwang auch ganz pragmatisch an der Seite der sozialdemokratischen Regierung, aber das war Vergangenheit, heute, so dachte der Moderator, gäbe es keine Allianz mehr von Geist und Macht. Gibt es auch nicht, aber trotzdem muss man feststellen, wenn man sich erst einmal umhört: Sie waren alle schon einmal da, beim Kanzler oder beim Außenminister.

Diese Woche kam der Spiegel mit der Falschmeldung, eine größere Truppe von Autoren und Publizisten sehr bekannten Namens würde sich im Kanzleramt treffen, um Schröder ihrer Unterstützung im Wahlkampf zu versichern. Es war eine dieser Namenslisten, in deren unvermeidlichem Zentrum Klaus Staeck steht. Von Günter Grass war die Rede und Peter Rühmkorf. Schon einen Tag später dementierten Martin Walser, Christa Wolf und Manfred Bissinger energisch, sie hätten nie eine Einladung ins Kanzleramt erhalten und beabsichtigten auch nicht, an der Seite Schröders in den Wahlkampf zu ziehen. Dabei fand man diese Meldung durchaus plausibel, sie passte zu dieser Generation von Schriftstellern: Die alten Schlachtrösser der EsPeDe eben. Und die nachfolgende Literatengeneration hätte damit nichts am Hut?

In der Tat nicht. Denn selbstverständlich sieht sich keiner der Schriftsteller zwischen Daniel Kehlmann und Durs Grünbein, die alle schon einmal die Ehre hatten, als Wahlkampfhelfer des rot-grünen Projekts. Trotzdem hat sich die Welt der Politik und die der Literatur viel öfter berührt, als man erst einmal annehmen würde. Das hat überhaupt nichts Anrüchiges. Im Gegenteil, zu einem Gutteil ist es einfach gelebte Berliner Republik. Dass sich das politische Establishment und das Kultur- und Reflexionsmilieu stärker durchmischen und sich gegenseitig inspirieren würden, das war durchaus ein Argument neben anderen für den Regierungsumzug gewesen. Und genau so ist es gekommen. Helmut Kohl hatte exakt einmal Ernst Jünger im schwäbischen Wilfingen besucht, das war alles an Dichterpflege, und es passte irgendwie vorne und hinten nicht. Seit Schröder in Berlin regiert, ist der Austausch, sagen wir mal so: auf undemonstrative Art reger, als man dachte.

Der Kanzler, sagt Norbert Gstrein, sei unglaublich charmant gewesen: "Ich war selbst überrascht, wie berückt ich davon war. Ich spürte förmlich die Gefahr der Verführbarkeit der Intellektuellen." Schröder war, sagt Gstrein, in seiner Zuwendung nicht hierarchisch. Er wollte wirklich etwas wissen von seinen Gästen. Sehr lange und intensiv etwa habe der Kanzler sich mit Rainald Goetz unterhalten. Davon hätte man gerne ein Foto.

"Ich spürte die Verführbarkeit der Intellektuellen"

Er sei ein sehr guter Gastgeber gewesen. Unseld mit seiner altmodischen Kinderstube, erinnert sich Gstrein, sei gegen 23 Uhr nervös geworden: Man wolle den Kanzler nicht über Gebühr vom Regieren abhalten und werde darum den Heimweg antreten. Der Kanzler habe in der gelassensten Art abgewunken und bedeutet, dass er sich diese Zeit gerne nehme. Darauf habe er Grappa reichen lassen.

Natürlich muss Norbert Gstrein, ein scharfer und unbestechlicher Intellektueller wie nur je einer, lächeln, wenn er immer wieder betont, wie sehr ihn der Kanzler bezirzt habe. Mit einem politischen Bekenntnis hat das nichts zu tun. Es ist Neugierde: "Ich würde aus der gleichen Neugierde heraus auch zu Angela Merkel gehen. Schröder aber finde ich jenseits aller Politik einfach sympathisch." Er sei da gerne hingegangen. "Ich habe nicht den Eindruck, dass mich eine solche Begegnung im Sinne einer Infiltration in meiner Arbeit beeinflussen kann. Ich war ja umgekehrt auch ohne ein aktives politisches Wollen da. Außerdem habe ich den Vorteil, Ausländer zu sein. In Österreich würde ich weder zu den einen noch zu den anderen gehen."

Bei einem weiteren Treffen mit Schröder, erzählt Gstrein, seien Fotografen aufgetaucht. Da seien einige seiner Kollegen aus dem Blickwinkel der Kamera gewichen. Das finde er komisch. Erst mit dem Kanzler zechen, dann aber nicht mit ihm auf einem Foto gesehen werden wollen.

Darf man das, sich mit den Mächtigen an einen Tisch setzen? Manche Autoren wollen partout nichts davon wissen, dass sie einmal einer Einladung von Joschka Fischer ins Außenamt gefolgt sind. Es schüttelt sie förmlich vor Widerwillen, wenn sie daran zurückdenken. Es sind unangenehme Erinnerungen wie an einen One-Night-Stand, zu dem man sich nur unter Alkoholeinfluss hat hinreißen lassen und der sehr demütigend war, und nun wollen sie nicht, dass irgendwer von ihrer schwachen Stunde erfährt. "Der König empfängt seine Künstler, so war es", sagen sie. Und: "Nein, ich möchte nicht, dass sie mich erwähnen."

Was ist da passiert? Die junge Schriftstellerin Tanja Dückers war (zusammen mit Feridun Zaimoglu und Marcel Beyer und vielen anderen) zweimal bei Joschka Fischer. Es gab ein gutes Abendessen, und man saß oben in der Dachetage des Außenamtes. "Ich war erst einmal einfach neugierig, denn eine solche Begegnung ist natürlich unalltäglich. Und dann waren mir die Grünen ohnehin immer nahe." Was aber alle 25 Gäste deutlich verstimmte, war der Zeitpunkt der Einladung. Sie erfolgte im Vorfeld der Bundestagswahl 2002. Und Fischer hatte wohl wirklich gedacht, seine Gäste würden Werbung für ihn machen. Aber natürlich wollte keiner der Künstler sich vor seinen Karren spannen lassen.

"Vor und nach der Veranstaltung", sagt Tanja Dückers, "haben viele Kollegen heftig geschimpft, aber während des Abendessens war es erstaunlich still." Vielleicht sei dies sogar das eigentlich Bedrückende gewesen. Fischer, meint sie, hätte vermutlich gerne von ihnen als Trendscouts des Kulturmilieus etwas erfahren. Statt dessen stellten die Schriftsteller immer nur aufblickend schulmäßige Fragen: "Was halten Sie von der EU-Osterweiterung?" So geriet Fischer ins Monologisieren. Das Gespräch, sagt Tanja Dückers, war oberflächlich und nutzlos. Fischer selbst war von seinem Verlauf offensichtlich genervt.

Gerhard Schröder muss ein guter Zuhörer sein. Das macht ihn so gewinnend. Der Lyriker und Stückeschreiber Albert Ostermaier war bei zwei Treffen mit dem Kanzler dabei. Es waren, sagt er, konzentrierte Gespräche von großer Offenheit. "Wir waren alle ganz perplex und fast ein wenig wie hypnotisiert durch diese Offenheit. Wir hatten viel stärker gewisse Autoritätsmuster erwartet, und jetzt überwältigte uns Schröders enorme Unmittelbarkeit." Es sei eben kein inszeniertes, sondern ein intimes Treffen gewesen -- unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sonst wäre er auch nicht hingegangen. "Wenn sie es öffentlich machen", sagt Ostermaier, "verlierst du immer und wirst nur benutzt."

Beim nächsten Mal traf man sich im Kanzleramt, und da habe schon die Architektur eine Distanz aufgebaut. Vor dieser Kulisse sei ihm, Ostermaier, der Kanzler plötzlich sehr einsam erschienen. Die Kompetenz des Schriftstellers, fügt er hinzu, sei die der Wahrnehmung und der Beobachtung. Auch politische Figuren müssten Gegenstand der literarischen Beobachtung sein: "Es ist wichtig, dass wir uns wieder mehr den Königsdramen zuwenden. Dafür sind solche Begegnungen durchaus aufschlussreich."

Thomas Meinecke war sowohl bei Fischer wie bei Schröder. Auch er wäre den Einladungen nicht gefolgt, wären diese öffentlich gewesen. Denn natürlich mache man sich Gedanken über eine mögliche Instrumentalisierung. "Aber ich kann sagen: Ich habe beide nicht gewählt." Es sei doch ganz unmöglich, jemanden zu wählen, nachdem man mit ihm gegessen habe. "Da bin ich Moralist. Gerade wenn ich jemanden auch noch sympathisch finde, fühle ich mich gleich so embedded, dass ich alles dafür tue, ihn nicht zu wählen."

Rechts und links

Zu Angela Merkel allerdings würde er nicht gehen -- und das nicht etwa, um sie wählen zu können. "Da habe ich noch so ein einigermaßen intaktes Weltbild mit rechts und links im Kopf und dass ich nicht mit der Reaktion gehen möchte. Man setzt sich nicht mit jedem an einen Tisch, denn in dieser embedded Situation wird man immer zahmer."

Die Gespräche mit Schröder seien eindeutig die entspannteren und fruchtbareren gewesen im Vergleich zu Fischer, sagt Meinecke. Da meldet sich seine sechzehnjährige Tochter im Hintergrund zu Wort: "Thomas, ich finde das angeberisch, wenn du von deinen Begegnungen mit Schröder erzählst." Und Meinecke sagt: "Ich bin nicht so ein abgebrühter Typ, dass ich nicht auch stolz gewesen wäre, eingeladen worden zu sein." Natürlich gab es viel zu beobachten: Zu welcher Höchstform manche Kollegen, deren Namen er jetzt nicht nennen möchte, plötzlich aufliefen und wie sie sich in servile Stichwortgeber verwandelten.

Wohler gefühlt habe er sich bei Schröder, obwohl ihm Fischer und die Grünen vermutlich näher stünden. "Fischers Referenten haben die selben Blumfeld-Platten zu Hause wie ich." Schröder habe für ihn so eine gewisse tragische Größe, während er bei den Grünen immer stärker ein Karrieremoment beobachte. "Ohnehin machen die Grünen mich als Ästheten wahnsinnig, wenn sie so ungezogen in der Politik rumlümmeln."

Vielleicht kann man es so formulieren: Auch wenn man öfters bei Kanzlers zu Hause vorbeischaut, hat man deswegen noch lange keine politische Heimat.

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