Literarischer Marktplatz:Bücher für arabische Kinder

Lesezeit: 3 min

Eine Bestandsaufnahme, wie es gelingt, arabische Kinder in Deutschland mit Literatur zu versorgen.

Von Kathrin Kommerell

Die Kinder im Publikum kichern jedes Mal, wenn die Vorleserin "Pippi" sagt. So viel Deutsch können die arabischen Zuhörer also schon. Dass es aber um "Pippi Langstrumpf" geht, erfahren sie auf der zweisprachigen Veranstaltung der Volkshochschule Tübingen erst, als die Verlegerin Mona Henning die Geschichte auf Arabisch vorliest. Das Eis ist rasch gebrochen, auch die Mütter aus Syrien oder aus dem Irak freuen sich am Spaß ihrer Kinder.

Das sind die Situationen, in denen auch arabischsprachige Kinder Zugang zu guter Kinderliteratur finden: in einem sozialen Rahmen, im Beisein der Eltern. Sagt Mona Henning, die in ihrem schwedischen Verlag seit 1984 Bücher von Astrid Lindgren und andere Kinderbuchklassiker in arabischer Übersetzung und in guter Qualität verlegt. Denn attraktiver Lesestoff ist schwer zugänglich: Eine Lese- und Vorlesekultur wird in den meisten Familien nur spärlich gepflegt. Geschichten im nicht geläufigen Hocharabisch und mit altbackenen Themen werden dem Bedürfnis nach Fantasie, Spannung und Alltagsbezug nicht gerecht. Kinderbücher sind außerdem nichts, wofür man viel Geld ausgibt oder was günstiger, also etwa aus Libanon oder aus Ägypten, zu haben wäre: Nicht einmal gute Kinderbücher von Zakariya Tamer oder Emily Nasrallah, wenn auch schlecht produziert, finden nach Europa. Kaum vorhandene Vertriebswege auf dem arabischen Buchmarkt erschweren noch heute die Verbreitung arabischer Kinderliteratur. Stattdessen wird hier auf Arabisch gelesen, was alle jungen Leser kennen und mögen, "Harry Potter", "Der Regenbogenfisch" oder "Willi Wiberg" übersetzt und verlegt in arabischen Verlagen oder in Mona Hennings schwedischem Verlag Dar Al-Muna.

Und wie kommt das Buch zum Kind? Fast nur in Büchereien, Kindergärten und Grundschulen. Die wiederum wenden sich an Multikulti-Fachbuchhandlungen wie Al-Anadolu oder Versandbuchhandlungen wie Al-Kutub, wo man quasi alles außer religiöser Literatur auf Arabisch erhält. Die Nachfrage ist nun wegen des Zuwachses an Geflüchteten zeitweilig explodiert. "Der Bedarf an Kinderbüchern auf Arabisch hat sich seit 2015 verdreifacht", berichtet Al-Kutub-Inhaber Hans Schiler. Was die Kinder der Geflüchteten nun lesen, hängt vom Angebot ab: "Was den Kindern wirklich gefällt, darüber tappen wir noch im Dunkeln", berichtet Kristine Wernicke von der Stadtbücherei Tübingen. Bestellt wird beim bundesweiten Bestelldienst der Büchereien, der ekz, und die machen zweimal jährlich Vorschläge für arabische Literatur. Dort heißt es: "Wir können kein Arabisch hier im Haus, wir verlassen uns auf die Vorschläge von Hans Schiler von Al-Kutub. Damit keine religiös kritischen Inhalte drin sind oder solche, die etwa die Stellung der Frau betreffen."

Unser Ziel waren Entlastung, Genuss, Freude an Geschichten

Seit 2015 haben auch einige deutsche Verlage Kinderbücher für arabische Leser. Zweisprachige Bilderbücher - für Ältere gibt es wenig - helfen den Kindern beim Deutschlernen, übrigens auch den vorlesenden Eltern. Nicht zuletzt vermitteln diese Kinderbücher kulturelle Inhalte und können die Integration unterstützen. Da gibt es Klassiker wie "Findefuchs" (dtv) und "Das kleine Ich bin Ich" (Jungbrunnen), oder "Eine gemütliche Wohnung" von Norman Junge. Das Buch stammt aus einer zweisprachigen Reihe europäischer Kinderbücher, die im Auftrag des Goethe-Instituts seit 2016 zusammen mit Mona Henning im Schiler-Verlag erschienen sind. "Unser Ziel war Entlastung, Genuss, Freude an Geschichten", so Heike Friesel vom Goethe-Institut über die Auswahl. "Was die Kinder selbst etwa auf der Flucht erlebt haben, das wollen sie nicht noch mal lesen", glaubt sie. Andere Verlage thematisieren genau das, wie der Klett Verlag mit Kirsten Boies "Bestimmt wird alles gut". Flankiert von der Stiftung Lesen und begleitet von pädagogischem Material wird das Buch auch im Unterricht verwendet.

Inzwischen, so die Bestandsaufnahme von Verlagen, Büchereien und Pädagogen, hat sich aber der Bedarf eingepegelt. Die Kinder, die in den letzten beiden Jahren angekommen sind, haben schnell deutsch lesen gelernt. Auch dank der Lesepaten, wie etwa in der Bücherei in Riedenburg bei Regensburg. Wenn die arabischen Kinder aus der Grundschule nebenan aber allein in die Bücherei kommen, dann, so die Bibliothekarin, greifen sie lieber zu "Conni-Büchern oder was mit Ponys" - zu denselben Büchern also wie die meisten Gleichaltrigen.

© SZ vom 01.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: