Liedermacher sterben aus:Ende der Akkordarbeit

Das Phänomen der Liedermacher tritt ab: Innerhalb kürzester Zeit starben im November der Bänkelsänger Franz Josef Degenhardt, der freundlich-böse Georg Kreisler und der todessüchtige Chansonnier Ludwig Hirsch - sie alle betrieben die Fortsetzung der Politik mit den Mitteln der musikuntermalten Sprache. Vergleichbar Gutes ist bislang nicht nachgekommen.

Hilmar Klute

Wenn man noch einmal den von tausend Zungen abgeschmeckten Sisyphos-Satz von Camus aufs Thema runterbrechen möchte, dann vielleicht so: Man muss sich den sehr späten Franz Josef Degenhardt als einen glücklichen Menschen vorstellen. Warum? Weil alles so gekommen ist, wie er es herbeigesungen hat: Der internationale Finanzkapitalismus fliegt uns um die Ohren, Regierungschefs werden von der Krise fortgefegt wie Herbstlaub, die Völker geraten in unkalkulierbaren Zorn, zünden vieles an, und selbst Banken-Verstaatlichung ist heute nicht mehr nur ein Wort von politischen Schmuddelkindern.

Miguel Iven

Eine Gitarre, fünf, sechs Akkordgriffe und viel Gesinnung - ganz so einfach funktionierte das linke deutsche Liedermachen nun doch nicht.

(Foto: Günther Reger)

Über vier Jahrzehnte lang hat Degenhardt mit seiner sanften, manchmal in schmerzhafte Hochfrequenzen gleitenden Stimme vom Glück des Umsturzes gesungen, davon, dass sich die herrschende Klasse, der Imperialismus oder welche Synonyme auch immer für die Hegemonie der Ausbeuter stehen mögen, irgendwann selbst die Kante geben werden.

Dann kam eine Zeit - nach der Wende war das -, da hat er nicht mehr so richtig an die Revolution geglaubt und weißbärtig lächelnd gehofft, die Enkel werden es einstmals ausfechten. Aber vor ein paar Jahren, nach dem Zerploppen der allzu flott aufgepusteten New-Economy-Blase, sah Väterchen Franz wieder Morgenrot, da sang er dann: "Und vielleicht gibt es morgen ja schon den Crash, / dass die Kurse und Masken fallen. / Also lasst uns freuen und träumen davon, / wie die Racheposaunen erschallen."

Bevor nun die Racheposaunen aus dem Filz geholt und blankpoliert werden, muss allerdings aus aktuellen Gründen ein bisschen Herbstmusik dazwischengeschaltet werden. Mitte November starb der Bänkelsänger Franz Josef Degenhardt nämlich in seinem Haus am Saum der Quickborner Heide; eine Woche später verschied der freundlich-böse Georg Kreisler in einem Salzburger Krankenhaus und zwei Nächte darauf stürzte sich der todessüchtige Chansonnier Ludwig Hirsch aus dem Fenster des Wiener Wilhelminen-Spitals.

Dass sich drei Künstler, die dem gleichen Genre verpflichtet waren, so rasch hintereinander in den Tod verabschieden, ist natürlich ein böser Zufall, und wenn man es recht bedenkt, konnten diese drei Sänger ja in ihren Temperamenten unterschiedlicher kaum sein. Hirsch, der in seine Albträume verliebte Seelenschwarzmaler, Kreisler, der hochpoetische wie radikale Kämpfer gegen die Dummheit dieser Welt, und Degenhardt, der sanfte Utopist einer Gesellschaft ohne Privatbesitz und Klassenunterschiede. Und trotzdem: Alle drei standen für etwas ein, das in der Geschichte der deutschsprachigen Populärkultur einmal einen hohen Wallungswert besaß: die Fortsetzung der Politik mit den Mitteln der musikuntermalten Sprache, des öffentlichen Agitations-Entertainments - und das Wort war mächtig, die Stimme rau und die Gitarre eine Waffe.

Höchstens pädagogische Reflexe

Die linken Liedermacher des Westens hatten es früh geschafft, sich und ihre Kunst dermaßen zu skandalisieren, dass öffentlich-rechtliche Sender und Fernsehanstalten ihre Lieder nicht brachten und einzelne Barden wie Hannes Wader eine Zeit lang sogar komplett boykottierten.

Unvergesslich, weil im Internet abrufbar, ist etwa ein Auftritt Degenhardts in der Talkshow "Freitagnacht" noch in den Achtzigern. Der Sänger präsentierte sein "Lied für die ich es sing", in dem er einen Pfarrer pries, der einen Demonstranten, der einen Strommasten umgesägt und sich dabei verletzt hatte, mit Cannabis versorgt. Ferner kommt eine alte Frau zu Ehren, die einen bewaffneten Bankräuber in der polizeilichen Gegenüberstellung absichtlich nicht erkannte.

Der konservative Publizist Enno von Loewenstern bezichtigte Degenhardt daraufhin im Studio der Verführung junger Menschen zum bewaffneten Terrorismus und zum Drogenkonsum. Der Text wird im Laufe des erregten Gesprächs unter Juristen - der Sänger Degenhardt war ja selbst einer - zu einer Art Beweismaterial für die verfassungsgefährdende Wirkungsmacht des linken deutschen Liedguts. Dass ein Chanson einen so hohen politischen Skandalwert haben kann, ist heute, da ein bräsiger Rapper wie Bushido mit reaktionär-spießigen Schwulen- und Frauenhassereien höchstens pädagogische Reflexe auslöst, nicht mehr vorstellbar.

Wer das Glück hat, alt genug zu sein, um die kulturellen Segnungen der späten alten Bundesrepublik noch mitbekommen zu haben, der wird sich an die legendären UZ-Feste der Deutschen Kommunistischen Partei erinnern. Diese Festivals - sie finden in abgespeckter Form heute noch statt - hatten eine sehr unangenehme und eine sehr erhebende Seite. Auf der unangenehmen standen die damaligen Parteikader, allen voran der DKP-Chef Herbert Mies, die mit ihren blechernen Propaganda-Reden auf beifällige Hände stießen.

Abgekoppelt von jedwedem Ideologiegeschepper

Auf der erhebenden Seite standen die Liedermacher, die zu diesen bukolischen Zusammenkünften wie zum freundlichen Sängerkrieg antraten - Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader, Walter Mossmann und Konstantin Wecker lauteten die Namen, mit denen die Partei auch diejenigen anlockte, die mit der kommunistischen Idee allerhöchstens locker befreundet waren.

Und wirklich: Wenn man diesen großen Sängern zuhörte, fand man sie damals schon erfreulich abgekoppelt von jedwedem Ideologiegeschepper. Hannes Wader gab den Volksbarden mit früh schon eisgrauem Bart, der mit schöner Stimme davon sang, dass sich die Schrecknisse der Kriege sicher nicht wiederholen werden, solange hier im Lande eine wachsame Minderheit zugange ist, die weiß, dass es an der Zeit ist, "diesen Krieg zu verhindern".

Das jagte auch 1987 in Duisburg noch warme Schauer über den Rücken, obwohl damals Michail Gorbatschow den Menschen die Furcht vorm Weltkrieg längst genommen hatte. Tschernobyl allerdings war gerade ein Jahr her, deshalb

fanden die Umweltlieder von Walter Mossmann - der einer der wirklich großen Liedautoren war - viel Gehör. Und abends machten sich die kämpferisch aufgemöbelten Festgänger bei Konstantin Wecker locker, der dampfend am Klavier saß und daran erinnerte, dass man neben dem Offenlegen der gesellschaftlichen Leerstellen auch die Liebe, den Wein und den Tod nicht vergessen darf.

Diese Jahre waren die letzten, in denen die Kultur der deutschen Liedermacherei noch einmal in Blüte stand, wenngleich es da wahrscheinlich bereits das Stadium der Angstblüte war. Denn die Berufsbezeichnung Liedermacher war eine ungeschützte, und so kam es, dass auf den Festivals so gut wie jeder, der ein paar Gitarrengriffe drücken und ein paar Liedzeilen von Brecht oder dem Brecht-Epigonen Peter Maiwald auswendig konnte, sich befugt fühlte, ein ganzes Zeltpublikum niederzuschrammeln. Die Bardenkultur ist dort untergegangen, wo sie sich zweieinhalb Jahrzehnte zuvor zum ersten Mal gebündelt hatte: auf dem Festival.

In den frühen sechziger Jahren - Politik galt vorzüglich als Angelegenheit der Parlamente - trafen sich Liedersänger aller Couleur auf der Hunsrück-Burg Waldeck zum Vorsingen. Bis dahin war das deutschsprachige Chanson eher Sache zweier Solitäre gewesen: Degenhardt im Westen und Wolf Biermann in der DDR. Beide sahen sich zum Sangesmann just zu der Zeit erweckt, als der Erfolg des französischen Chansonniers Georges Brassens nach Deutschland wehte.

Zwang zum kulturellen Kassensturz

So wie Walther von der Vogelweide die poetische Sitzhaltung des Beineübereinanderlegens, erfand Brassens die lässige Pose des Liedermachers: das rechte Bein auf den Stuhl gestemmt, die Gitarre auf dem Schenkel, zog er gegen Philister und Spießbürger zu Felde, pries die Grisetten und Katzenverführerinnen und bezichtigte Ordens- und Amtsträger der sexuellen Perversion wie in seinem berühmten, heute noch von Straßenmusikanten in der Pariser Metro gesungenen "Gare au gorille".

Der sängerische Dilettantismus, die Publikumsscheu und der Rückgriff auf die Tradition der Vaganten und Troubadoure waren das Basismaterial für die frühen deutschen Liedermacher - ein Wort, das Biermann von Brechts pragmatischer Berufsbezeichnung Stückeschreiber ableitete. Bevor die Liedermacher in Deutschland zur Bewegung werden konnten, musste der kulturelle Kassensturz gemacht werden: An welches Liedgut konnte man anknüpfen?

Die vorangegangenen Jahrzehnte waren in dieser Hinsicht eher belastet, aber mit Brecht, Villon und jiddischen Volksliedern im Gitarrenkasten konnte nichts mehr schiefgehen.

Zu sehr mit Moral und Besserwisserei aufgeladen

Mit dem Beginn der Apo-Zeit schlug dann die Stunde des engagierten Liedes. Gewerkschaften und Parteien suchten sich in den Barden ihre kulturellen Stichwortgeber und nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 trennte sich die Liedermacherszene in West und Ost. Hier die DKP-nahen Barden, dort Biermann, der schnell zum deutsch-deutschen Dichter avancierte, mit Literaturpreisen geehrt und dem Kleinkunstbetrieb gnädig enthoben wurde.

Nach 1989 war eigentlich nur er noch übrig geblieben, Biermann, der sich als Shakespeare-Nachdichter hochnotpeinlich selbst die Kränze flocht und von Akademien und Regierungen das entsprechende Lametta zugeliefert bekam, während die anderen in Jugendzentren und auf Kulturbühnen noch ein paar Jahre die alte Akkordarbeit leisteten.

"Tot sind eure Lieder, eure alten Lieder", sang Degenhardt anno Asterix. Und heute? Es gibt ja doch wieder eine neue Generation von Barden. Zwei gute, weil in ihrer traurigen Komik sehr politische sind dabei: Funny van Dannen und Rainald Grebe. Der Rest ist das, was wir zum Tode von Degenhardt, Kreisler und Hirsch ohnehin bereits aufgelegt haben: Herbstmusik.

Gisbert zu Knyphausen, dessen Systemkritik sich auf die Beziehung zu seiner Freundin beschränkt, und Jochen Distelmeyer, der den Regen besingt und die ungerechte Einsamkeit in den Großstädten. Es raunt hier der Typ junger Mann, der auf Partys nörgelt und mit belegter Stimme zischelt: Seht ihr nicht, wie ihr euch von eurem eigenen Glücksempfinden täuschen lasst?

Von den alten Liedermachern wollen die jungen nicht mehr allzu viel wissen, weil deren Platten im Schrank ihrer Studienrat-Väter stehen, und das alles ist ihnen zu sehr mit Moral und Besserwisserei aufgeladen.

Anlässe für gute Lieder gibt es nach wie vor

Es mag auch richtig sein, dass sie alle ihre Zeit gehabt haben und in ihrer retrospektiven Melancholie heute ein wenig sonderbar wirken, sofern sie noch leben und auftreten. Trotzdem: Man wird an ihren Werken noch lange ablesen können, wie ein Sänger mit einer an poetischen Wagnissen reichen Sprache politische Gegenwart abbilden kann.

Die frühen bösen Parabeln Degenhardts mit ihrem herrlichen Kleinstadtpersonal, die scharfen Pointen Georg Kreislers mit ihrem haltlosen Hass und die leise hingehauchten Schreckensgeschichten des Ludwig Hirsch - das alles ist immer noch hörenswert und man sollte, wenn man die alte Liedermacherkultur zu Grabe trägt, wissen, dass bislang nichts vergleichbar Gutes nachgekommen ist. An den Zeitläuften kann es nicht liegen: Anlässe zum Anstimmen guter politischer Lieder gibt es heute mindestens so viele wie damals.

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