Liam Gallagher Album:"Ich hatte mich drauf vorbereitet, in aller Stille abzutreten"

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Liam Gallagher über sein Solo-Album: "Es kann wohl nicht Krebs heilen, ist aber verdammt großartig!" (Foto: Universal Music)

Liam Gallagher war verloren: Keine Band. Keine Songs. Ein Sänger mit nichts zu singen. Jetzt veröffentlicht er ein neues Album. Es ist gut - und dürfte ihn gerettet haben.

Von Jakob Biazza

Liam Gallagher muss jetzt mal etwas zurechtrücken, das sein Gegenüber - ach was, das die ganze Welt - dringend wissen sollte. Großes ist zu verkünden. Man erkennt, dass etwas besonders in ihm arbeitet, wenn er Teile der Antwort noch mehr als sonst in sich hineinmurmelt. Insgesamt eher ein Kauen als ein Sprechen. Als müsse er erst vorkosten, was herauskommen wird. Was herauskommt, ist dann zunächst ein schneidendes "Fucking Shit!" - und danach ein Parforceritt durch seine Garderobe: "Die Jacke allein", er zupft eher halbenergisch am linken Ärmel seiner Outdoor-Couture, "kostet 800 gottverdammte Steine!" Kopfschütteln, Abwinken. "Und die Hose", ein ungläubiger Blick an sich herab, irgendwann zwischen den zwei Sätzen muss er aufgesprungen sein, "für die legst du locker 200 hin. Einkaufspreis!" Von seinen Schuhen wolle er jetzt gar nicht erst anfangen.

Er ziehe sich also, zum Teufel noch mal, sehr wohl auch weiterhin stylish an. "Im Sommer ist es nur eben sehr heiß." Der letzte Satz läuft wieder in Kauen aus und verschwindet in etwas, das man vielleicht als Bedauern deuten könnte. Im Sommer liebe er nun mal seine Shorts.

Bei besonders sensiblen Menschen funktioniert der Filter zwischen ihnen und der Welt oft nicht ideal

Es irritiert ja immer, wenn das - wenigstens öffentliche - Wesen eines Menschen sich in gerade mal elf Sekunden vollständig offenbart: Gekränktheit, Aufbrausen, Gegenangriff, Betonung der eigenen Außergewöhnlichkeit. Und inzwischen scheinbar: Wogen auslaufen lassen. Liam Gallagher, zusammengefasst in einer Jacke, einer Hose und einem Paar Sneaker. Als Reaktion auf die doch recht banale Feststellung, sein Stil habe sich, verglichen mit früher, etwas verändert.

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Also durchatmen. Eigentlich wollte er ja über Musik reden. Es gilt schließlich, ein Album zu bewerben. "As You Were" heißt es und es ist, um das gleich vom Tisch zu haben, mitunter sehr gelungen. Man kann es selbst dann ziemlich gut hören, wenn man Oasis verehrt hat. Und man kann es sehr gut hören, wenn man seine Interimsband Beady Eye mochte. Aber manchmal nehmen Gespräche eben eine unerwartete Wendung. Und bei Liam Gallagher passiert das eben noch etwas öfter. Vor allem, wenn er emotional wird.

Bei besonders sensiblen Menschen - und ja, die These hier wird lauten, dass es sich bei Gallagher sogar um einen hypersensiblen Menschen handelt - funktioniert der Filter zwischen ihnen und der Welt ja oft nicht ideal. Banalitäten schlagen bei ihnen ab und an sehr ungebremst ein und werden zu Monstrositäten. Anderes bleibt dafür ganz draußen.

Beim ehemaligen Oasis-Frontmann, das ließ sich über die vergangenen Jahrzehnte eher im Vermischten lesen als im Kulturteil, wirken wohl vor allem jene Dinge sehr stark, die ihn in seinem Selbstverständnis betreffen. Im PR-Gespräch im dunkel getäfelten Hotel kann das Sätze hervorbringen wie diese: "Ich verstehe nicht, warum mich jetzt alle fragen, ob mein erstes Solo-Album eine Emanzipation ist. Blödsinn! Egal, in welcher Band ich gesungen habe, es ging doch immer nur um mich." Er sei schließlich, und da brauche es jetzt ja auch wahrlich keine verfluchte Diskussion mehr, der verdammt noch mal größte Rock'n'Roll-Sänger seiner Zeit.

Es ist wichtig, zu verinnerlichen, dass er solche Aussagen absolut ernst meint. Immer noch.

Denn das ist es ja, was diesen Künstler so faszinierend macht, was ihm seine Kraft gibt: Da ist keine Ironie. Und kein Hintersinn. Die Figur Liam Gallagher - und wahrscheinlich auch der Mensch - hat keinen doppelten Boden. Und absolut keine Distanz zu sich selbst. Oder zur Welt.

Ein Sänger ohne Songs

Man muss damit wohl auch den Zustand sehr ernstnehmen, in dem sich Gallagher befand, bevor er mit seinem neuen Album anfing. In seinen eigenen, erst gründlich angekauten Worten: "Ich habe eine Zeit lang sehr oft sehr gründlich den Rasen gemäht und bin dabei innerlich vor die Hunde gegangen. Durch und durch zersetzt von diesem einen, immer wiederkehrenden Gedanken: Vielleicht war es das eben jetzt. Ich habe keine Band. Ich habe keine Songs. Möglicherweise wird es nie wieder Musik von mir geben."

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Der Gedanke ist nicht unberechtigt. Neben aller Großmannssucht als Sänger gilt für diesen Liam Gallagher schließlich auch: Er ist kein guter Songwriter. Sagt er selbst. Er braucht andere Musiker, um, zumindest auf Albumlänge, gutes Material zu erschaffen. Eine verletzliche Position. Schwierig für einen Typen mit titanharter Schale. 2009 hatte sein in Liebe verhasster Bruder Noel Oasis verlassen und seine noch ungeschriebenen Songs mitgenommen (wie sich herausstellen sollte, sind ein paar davon immer noch außergewöhnlich gut). 2014 löste sich dann Gallaghers Nachfolgeband Beady Eye auf. Zurück blieb ein Sänger ohne Songs. Oder nein, man muss das wohl höher hängen: Zurück blieb ein Mensch, der den größten Teil seiner Bedeutung, seines Selbstverständnisses daraus zog, Rock'n'Roll-Musik zu singen - und dafür geliebt zu werden.

Rasenmähen ist da ein sehr schwacher Ersatz.

"Ich hatte mich drauf vorbereitet, in aller Stille abzutreten", sagt er über diese Zeit. Irres Motiv: Liam Gallagher? In aller Stille? Der lauteste, großspurigste Frontmann einer ganzen Generation, in der es ja durchaus noch ein paar sehr laute und sehr großspurige Rockstars gab: einfach ausgefadet.

Da saß er also, Mitte 40, allein, künstlerisch blank ("Ein verfluchtes, alles aussaugendes Loch!"), und klampfte auf seiner Gitarre herum. Und plötzlich kam diese scheue Eingebung: "When I'm In Need". Ein Anfang. Es lohnt sich, beim Hören des Albums mit diesem Song einzusteigen, auch wenn er sich leider irgendwo in der Mitte findet (was das für eine irre Kraft entwickelt hätte, damit, statt mit dem in sehr schweren Stiefeln herumstampfenden "Wall Of Glass" zu eröffnen!). Die Komponisten, Arrangeure und Produzenten, die ihm geholfen haben, aus der Idee einen fertigen Song zu machen, haben das mit der Klangästhetik besonders elegant gelöst bei dieser Nummer. Die suchende Gitarre und der kurz drauf einsetzende Gesang schleichen blechern von weit weg daher. Ein sehr verlorener, vor allem aber ein sehr bescheidener Auftritt. Mehr ein Vorantasten: Kann ich das wirklich? Führt das zu was? Und wo geht es denn dann lang? Dann wehen Chöre herein und ja, auch ein paar Streicher. Alles dehnt sich und wächst, wird aber auch nie zu groß, hängt nie zu schwer im Raum.

Wie die Größe und der Pomp und die Attitüde überhaupt gut gelöst sind auf diesem Album. Es fühlt sich - im besten Sinne - relativ altersgerecht an. Und trotzdem noch egoman genug. Ist schließlich eine zentrale Frage bei diesem Künstler. Nur weil einer Größenwahnsinnig ist, heißt das schließlich noch lange nicht, dass er nicht auch recht haben kann.

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Gekränktheit, Aufbrausen, Gegenangriff, Betonung der eigenen Außergewöhnlichkeit: So lässt sich so ja auch sehr gut zumindest der alte, der archaische Rock'n'Roll zusammenfassen. Und Liam Gallagher war, zumindest das kann man ohne Übertreibung festhalten, der Idealtypus des Rockstars jener Zeit.

Aber mit 45 kann sich selbst er nicht mehr zu dem immensen Irrwitz von Projektionsfläche aufblähen wie noch mit Mitte 20. Es braucht etwas anderes. Etwas, das die vom Alter geraubten 20 bis 30 Prozent Großmannssucht kompensiert.

"Es kann wohl nicht Krebs heilen, ist aber verdammt großartig!"

Also auch hier: Wogen glätten. Was unter anderem heißt, dass Gallagher sich, Achtung, tatsächlich entschuldigt (bei wem auch immer), während die Geigen etwas herumschmalzen und die Gitarren sich ein bisschen mit Lieblichkeit einschleimen ("For What It's Worth"). Oder dass er zu vinylverknisterten Akustikgitarren durch "Chinatown" schwebt oder "Universal Gleam" - einen raumgreifenden Schimmer also - herabregnen lässt (wieder gehauchte Chöre, wieder ein streicherverhangener Himmel).

Sturm und Drang im 6/8-Takt wie in "I Get By" sind seltener - aber dann schon noch einigermaßen glaubwürdig. Ansonsten tut das Album nicht einen Takt lang so, als sei es etwas anderes als eine gigantische Zitatereferenz an Gallaghers ewige Vorbilder - die Kinks, die Stones, die Beatles und dabei natürlich vor allem John Lennon. Immer wieder Lennon.

In Summe bedeutet das wohl, dass niemand "As You Were" dringend braucht, weil es quasi alles woanders schon besser oder wenigsten echter gibt. Es heißt aber auch, dass fast jeder eine Zeit lang Spaß dran haben wird. Das ist ja nicht wenig. Gallagher selbst sagt es so: "Es kann wohl nicht Krebs heilen, ist aber verdammt großartig!" Ungefähr so geht das schon in Ordnung.

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