Lewitscharoff und die künstliche Befruchtung:Kurzes Zischen im Hirn

Sibylle Lewitscharoff

Sibylle Lewitscharoff 2013 auf einer Pressekonferenz in Kassel.

(Foto: dpa)

Wer seine Überzeugungen nicht formulieren kann, ohne andere zu erniedrigen, erniedrigt sich selbst: Sibylle Lewitscharoff, die künstliche Befruchtung und die verheerende Logik vulgärer Debatten.

Von Jens Bisky

Der vergangene Sonntag war kein guter Tag. Am Berliner Ensemble taten Schreihälse dem Autor Thilo Sarrazin den Gefallen, sein Weltbild zu bestätigen, indem sie verhinderten, dass er über sein Buch "Der neue Tugendterror" sprechen konnte. Was zu diesem Krawall zu sagen ist, hat der Intendant des BE, Claus Peymann, gesagt: "Es war ein undemokratisches, nazihaftes Gepöbel, dem wir uns schließlich beugen mussten".

Im Dresdener Schauspielhaus hielt Sibylle Lewitscharoff am Sonntag eine Rede: "Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod ". Diese sei gefährlich, schrieb der Chefdramaturg des Staatsschauspiels, Robert Koall in einem "Offenen Brief", gefährlich mache sie "das Tendenziöse, die Stimmungsmache, das tropfenweise verabreichte Gift". Koall stellt die Büchnerpreisträgerin in eine Reihe mit Thilo Sarrazin und dem Journalisten Matthias Matussek, der vor kurzem in der Welt schwadronierte, er habe nichts gegen Schwule, aber sie sollten nicht so viel Theater machen. Ein bisschen "Homophobie", genauer: Herabsetzung von Lesben und Schwulen schadet nie, vielleicht gibt's dafür ja irgendwann die Putin-Medaille.

Lewitscharoff hat in Dresden viel aus ihrem Leben erzählt, sie sprach über verschiedene Arten des Sterbens, über die Frauenbewegung und die Reproduktionsmedizin. Was ist von Kindern zu halten, die nicht auf gute alte Art gezeugt wurden? Sie sei geneigt, die "auf solch abartigen Wegen" Entstandenen, "als Halbwesen anzusehen": "Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft."

Das will Lewitscharoff gern zurücknehmen. Am Freitag sagte sie im Morgenmagazin des ZDF, der Satz sei zu scharf ausgefallen. Es sei eine "Phantasmagorie, die kurz durchs Hirn zischt", und erlösche, wenn sie einem Menschen gegenüberstehe. Die Empörung ist zurecht groß, es fehlt nicht an Widerspruch, leider auch nicht an pöbelhaften Kommentaren. Der Wunsch von Lewitscharoff, das große Thema zu diskutieren und sie nicht auf einen Satz zu verhaften, dürfte so schnell nicht in Erfüllung gehen. Der weitere Verlauf kann vermutet werden. Die einen werden Lewitscharoff im Ganzen verdammen, und mit ihr, was ihnen auch sonst nicht passt: Kirche, Religion, ihren vermeintlichen Konservatismus. Die anderen werden behaupten, endlich sagt's mal jemand, endlich widerspricht einer dem "Mainstream" (das sind immer die, die anderer Meinung sind). Dann ruft einer "Gedankenpolizei!" und ein anderer fantasiert von "geistigen Brandstiftern".

Wenn es ganz übel kommt, erreicht das Erregungsspektakel die nächste Eskalationsstufe: Man wird die Autorin ausladen, vielleicht auch durch Gebrüll am Reden hindern. Gewiss wird man wieder von "linken" und "rechten" Positionen reden und damit der verqueren Logik der nutzlosen Verfassungsschutzberichte folgen.

Dabei war die Rede von Lewitscharoff - allein in diesem Punkt ähnlich vielen Sarrazin-Sätzen und dem Matussek-Geschwätz - weder "links" noch "rechts", sondern vor allem ein Beitrag zur Vulgarisierung des Landes mittels lustvoll zelebrierter Diffamierung. Die Aufnahme der Rede endet mit Beifall, Buh-Rufe sind nicht zu hören.

"Abneigung gegen jede Form differenzierter Geistigkeit"

Die Dresdner Rede handelt nur im Titel von Wissenschaft, in erster Linie richtet sie sich gegen die Selbstermächtigung der Frauen. Damit verarbeitet Lewitscharoff wahrscheinlich furchtbare Erlebnisse mit der Frauenbewegung der Siebziger, damals an der FU Berlin. Die Bewegten seien eigensüchtig gewesen, humor- und kompromisslos, getragen von der "Abneigung gegen jede Form differenzierter Geistigkeit" - also in etwa so wie die Rede vom 2. März 2014, in der sich Lewitscharoff die Lizenz zum Ressentiment erteilte, in der sie lieber Abscheu artikulierte als Vernunft walten zu lassen. Dazu nutzt sie rhetorische Verteufelungsstrategien, die aus der bunten K-Gruppen-Welt des "roten Jahrzehnts" bekannt sind, dazu nutzt sie - selbstverständlich - den ultimativen Geschmacksverstärker deutscher Debatten, eine Analogie zum Dritten Reich.

Vulgarität ist nach dem viel zitierten, dennoch treffenden Satz Theodor W. Adornos, ein "Einverstandensein mit der eigenen Erniedrigung". Ja, die Reproduktionsmedizin und das unselige Leihmüttergeschäft werfen moralische Fragen auf. Doch was soll in ethischen Diskussionen herauskommen, die mit der Herabsetzung anderer, ihrer - wie schwäbisch oder gekonnt auch immer - formulierten Verächtlichmachung einhergehen? Wer seine Überzeugungen nicht aussprechen kann, ohne andere zu erniedrigen, erniedrigt sich selber. Er oder sie rollt damit den roten Teppich für Gebrüll, Verbotsforderungen, Diffamierungen aus. Und viele nehmen die Einladung gern an, als hätten sie nur darauf gewartet. In solchen Debatten entscheidet dann allein die Lautstärke.

Unbehagen muss artikuliert werden

Zwischen Abscheu und Vernunft gibt es das Unbehagen. Es gehört dazu, lässt sich nicht wegreden, wird auch nicht verschwinden. Eine offene Gesellschaft kann das gut aushalten, ja sie lebt davon, Unbehagen produktiv zu machen, auch das Unbehagen angesichts der Emanzipation der Schwulen, das Fremdeln mit Einwanderern, die moralische Überforderung durch den medizinischen Fortschritt, der Entscheidungen verlangt, die früher nicht zu treffen waren.

Das Unbehagen muss artikuliert werden, ohne dass gleich nach Verbot oder Umerziehung gerufen wird. Es gelten aber auch für die Artikulation von Unbehagen die allgemeinen Geschäftsbedingungen des zivilisierten Gesprächs. Wer es mit Verachtung und Abscheu beginnt, vergiftet es auf lange Zeit. Wer bei jeder missglückten Formulierung eine öffentliche Hinrichtung verlangt oder Unterwerfung unter Vorformuliertes, unterdrückt es. Wer aber Unbehagen artikuliert, redet nicht im luftleeren Raum. Es hilft, den Gedanken kurz durchs Hirn zischen zu lassen, nicht jeder, der Abscheu weckt, sei abartig, widerwärtig.

Was passiert, wenn Sibylle Lewitscharoff ihrem Abscheu freien Lauf lässt, wissen wir jetzt. Wie aber sieht ihr Unbehagen aus, wenn sie darüber spricht, ohne zu verteufeln, was es auslöst?

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