Lesung:Gespenstische Unterhaltung

Lesung: Lesung mit Manfred Zapatka (l.) als Richter; stehend: Wiebke Puls.

Lesung mit Manfred Zapatka (l.) als Richter; stehend: Wiebke Puls.

(Foto: Gabriela Neeb)

Münchner Schauspieler lesen aus den Protokollen des NSU-Prozesses, die das "SZ-Magazin" im Januar veröffentlicht hat. Manfred Zapatka gibt dabei den Vorsitzenden Richter Götzl.

Von Tim Neshitov

Der Mist, auf dem der NSU gewachsen ist, erweist sich noch einmal als dankbarer Theaterstoff. Es ist gespenstisch unterhaltsam, wenn 16 Münchner Schauspieler - gemischte Truppe: Kammerspiele, Residenztheater, Volkstheater - aus den Prozessprotokollen vorlesen, die das Süddeutsche Zeitung Magazin am 8. Januar 2016 veröffentlicht hat (szenische Einrichtung: Christian Stückl). NSU-Prozess am Oberlandesgericht München, Jahr drei mittlerweile, Verhandlungstag 173 bis 252.

Manfred Zapatka spielt den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Zapatka ist ein Richter, der von dem mehrschichtigen Mist leicht überfordert ist. Wer kann ihm das verübeln? Er würde dies aber nie im Leben zugeben. Er ist ein Kämpfer.

Der Leseabend an den Kammerspielen fand am Dienstag zum ersten und leider einzigen Mal statt. Er war ausverkauft und hatte etwas Einmaliges, als hätte Sergiu Celibidache eins seiner Carpe-Diem-Konzerte für das einmalige Münchner Publikum gegeben, ein zweistündiges Feuerwerk, Vervielfältigung unerwünscht. Empfehlung an Interessierte: Man kann die Protokolle gewiss auch in kleinerer Runde zu Hause nachspielen. Niemand muss Beate Zschäpe spielen. Beim Theaterabend saß eine imaginäre Zschäpe irgendwo im Publikum, Zapatka sprach sie ab und zu an. "Wie geht es Ihnen? Gut?" Stimme der Protokollantin: "Zschäpe nickt." Einige Zuschauer drehten sich um und sahen nach, ob ihre Nachbarn nickten.

Ein solcher Abend, ob an den Kammerspielen oder im Wohnzimmer, lebt mehr vom Text, weniger von der Schauspielkunst. Zschäpe und ihre beiden toten Uwes sind zwar die Inkarnation des Bösen, aber auch Randfiguren. Auf der Anklagebank sitzt eine Gesellschaft. Erst diese Epik macht die Protokolle zum Theaterstoff. Am Verhandlungstag 218 befragt Richter Götzl den 38 Jahre alten Pharmareferenten Mario Brehme aus Rudolstadt. "Was können Sie uns zu Herrn Wohlleben sagen?" (Wohlleben ist Angeklagter.) Brehme: "Wohlleben war ein gleichberechtigtes Mitglied der Kameradschaft Jena. Später ist er zu einer demokratischen Partei gegangen, ich meine, es war die NPD."

Kameradschaft Jena. BKA-Beamte, die "islamistisch" sagen und sich dann korrigieren: "osmanisch, orientalisch". Späte DDR, Uwe Mundlos trägt langes gelocktes Haar und selbstgestrickte Pullis, hört Udo Lindenberg, später die Böhsen Onkelz. 1998 taucht das NSU-Trio unter, sie wollen bei einer Mandy Struck schlafen. Zschäpes Anwälte heißen Heer, Stahl und Sturm, sie wollen Zschäpe nun definitiv nicht mehr verteidigen. Das ist die Gesellschaft, die unter der vorsichtigen Regie des Vorsitzenden Richters Götzl plastisch wird.

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