Oper in München:Im Garten der Lüste

Oper in München: Didon (Ekaterina Semenchuk) ist in Münchens Nationaltheater die Herrscherin über ein Karthago, in dem schwule Männer relaxen, was Teile des Publikums zu Buhrufen animiert.

Didon (Ekaterina Semenchuk) ist in Münchens Nationaltheater die Herrscherin über ein Karthago, in dem schwule Männer relaxen, was Teile des Publikums zu Buhrufen animiert.

(Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper)

Münchens Staatsoper zeigt Hector Berlioz' martialische Kriegsoper "Les Troyens", ein Stück voller Todesmärsche, Selbstmorde und Metzeleien, das dennoch die Liebe mit hinreißenden Klängen feiert.

Von Reinhard J. Brembeck

Zum Schlussapplaus entrollt der Chor, er hat davor im schwarzen Outfit und oratorienhaft unbeweglich fünf Stunden lang in der Bayerischen Staatsoper gesungen, die ukrainische Flagge. Das ist umso erstaunlicher, als diese fabelhaften Sänger gerade im Finale "ewigen Hass", "erbitterten Krieg" und "Blutbad" gepredigt hatten. Weswegen? Wegen einer Lappalie. Weil die Karthagerchefin Didon vom Trojanerchef Aeneas verlassen wurde, was zwar schlimm genug ist, aber nach heutigem Verständnis keinen Krieg rechtfertigen würde. Aber die Antike wusste es anders und besser. Auch der Trojanische Krieg, um den geht es in Hector Berlioz Megaoper "Les Troyens", bricht wegen einer Frauengeschichte aus, also ebenfalls wegen einer Lappalie. Diese im Moment recht offensichtliche Botschaft kommt in München durchaus an: Dass es für Krieg, Vergewaltigung, Mord und Zerstörung keiner großen Umstände und Begründungen bedarf.

Da ist aber auch Daniele Rustioni, 1983 in Mailand geboren und der erste Gastdirigent des Hauses und ein Magier. Unter seiner Anleitung webt das Staatsorchester feinste Klangschleier, es ziseliert Rhythmen aus Eleganz und Verlockung, es lässt die oft durch Störmanöver grundierte Vielstimmigkeit wie ein lebendiges Wesen erscheinen. Zudem suggeriert es den Hörern, dass Akkorde nicht nur Klänge, sondern Erotik und Duft sein können. So viel Synästhesie war in München schon lang nicht mehr. Rustioni und seine Co-Zauberer machen in jedem Moment klar, dass Berlioz ziemlich dezidiert und mit eingängigen Nummern gegen das selbst verfasste martialische Libretto nach Vergils staatstragender "Aeneis" ankomponiert, dass er selbst den Märschen und Todesmusiken Raffinement und Laszivität verleiht. Der Text aber gibt sich über weite Strecken kriegsunkritisch bis verherrlichend. Das stimmt nachdenklich, genauso wie der Umstand, dass die besten und bis heute für die europäische Kultur einflussreichsten Texte der Antike wie "Ilias", "Odyssee", "Orestie" und "Aeneis" den Trojanischen Krieg besingen: Männerkampfliteratur.

Also singt auch Enée - Gregory Kundy hat einen trompetenhaft tragenden und im Zarten schwächelnden Tenor - zu seinem Sohn: "Ich werde dir nur das Kriegshandwerk und die Achtung vor den Göttern beibringen." Ein paar Partiturseiten weiter aber beschwört dieser Pädagogik-Hulk dann Friede, Zauber und die "Nacht der Trunkenheit". Menschen sind zutiefst widersprüchlich, das behauptet auch Berlioz komponierend, Zartes und Zerstörerisches können widerspruchslos in der gleichen Brust wohnen. Und die Frauen?

Warum geht die von ihrer Amour fou gebeutelte Didon nicht einfach mit Enée fort, sondern in den Tod?

"Les Troyens" erzählt von zwei emanzipierten und berufstätigen Frauen, die die Liebe beschädigt und die sich selbstmorden. Cassandre, Marie-Nicole Lemieux ist streng und ernst, arbeitet als Wahrsagerin, aber niemand nimmt ihre Warnungen ernst. Nicht einmal ihr Geliebter Chorèbe, den Stéphane Degout mit wunderbar schillerndem und tragfähigen Bariton singt, präsent, unaufdringlich, edel, erotisch. Degout ist der mit Abstand beste Sänger dieses Abends. Als die marodierenden Griechensöldner Troja stürmen, ermordet sich Cassandre mit etlichen anderen Frauen, so grausig endet der erste Teil, Freiheit oder Tod.

Didon dagegen - Ekaterina Semenchuk ist erst vor ein paar Tagen eingesprungen und triumphiert wie auch Gregory Kunde mit deutlichen und lauten Tönen - ihre Didon hat Karthago gegründet. Das in der Regie von Christophe Honoré ein Wohlfühlparadies besonders für schwule Männer. Explizite Filmchen voll homoerotische Liebe empören dann einige im Publikum. Männer machen hier in Karthago Liebe, in Troja Krieg, und der Trojaner Enée macht sich ein paar schöne Stunden mit der Karthagerin Didon. Dann geht er seinerseits eine Stadt gründen, Rom, so lautet der göttliche Auftrag, Pflicht geht vor Liebe. Warum aber geht die von ihrer Amour fou gebeutelte Didon nicht einfach mit ihm fort, sondern wie Cassandre in den Tod?

"Le Troyens" steckt voller Widersprüche. Der in Frankreich als Jugendbuchautor, Filmemacher und Theaterregisseur bekannt gewordene Christophe Honoré macht sich erst gar nicht die Mühe, sie auszuräumen. Er lässt sie mit liebevollem Desinteresse einfach nebeneinander bestehen. Katrin Lea Tag hat ihm dazu die Grundmauern eines Betonbunkers hingestellt, der einmal das kriegsverheerte Troja beherbergt, dann den umfriedeten Lüstegarten Karthagos. Die flüchtigen Trojaner irren als ein Trupp vertriebener Jesuiten herum, die gern mal die "ekelhafte Horde der Afrikaner" (O-Ton Berlioz-Libretto) niedermetzeln. Die Solisten machen all das, was die Abwesenheit von Personenführung an uninspirierten Gesten und Gängen hergibt. Erst im Schlussbild kommt wilde Sängerleidenschaft auf, die wie immer verfängt. Ohne deshalb vergessen zu machen, dass dieser Abend in seiner Offenheit vor allem Fragen ans Publikum stellt: Wie haltet ihr es denn mit dem Krieg, der Liebe und der eurer Hochkultur?

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