Das Lese-Publikum hatte seinen Favoriten für den Leipziger Buchpreis bereits früher als die Jury ausgemacht. Bei einem Online-Voting entschieden sich 32 Prozent der Teilnehmer für Wolfgang Herrndorfs Roman "Sand". Den zweiten Platz belegte Thomas von Steinaecker um Haaresbreite vor Anna Katharina Hahn. Herrndorf ("Tschick") scheint mit seinem aktuellen Buch, einem parodistischen Agenten-Thriller, der den Leser auf sehr vergnügliche Weise in die Irre eines comichaft-grellen Geheimdienst-Plots im afrikanischen Wüstensand lockt, aber nicht nur den Geschmack der Mehrheit getroffen zu haben.
Auch die siebenköpfige Jury, deren Vielfalt und Offenheit ihre Sprecherin Verena Auffermann eingangs betonte, bevor endlich Rauch aufstieg unter dem Glasdach der Leipziger Messe, schloss sich dieser Meinung nach einem langen Lesewinter an.
Die FAS-Autorin Johanna Adorjan rühmte die Leichtigkeit und Eleganz sowie die Komik, mit der Herrndorff noch die abstrusesten Albtraumszenerien schildere, durch die er seine Figuren jage. Somit wurde der Scheinwerfer, den zu lenken Verena Auffermann als die Aufgabe einer unabhängigen Jury in Zeiten medialer Überflutung hervorhob, auf einen Autor gerichtet, der diesen Preis gewiss verdient hat.
Herrndorff wurde 1965 in Hamburg geboren und tat sich zunächst als Maler und Illustrator hervor, bevor er 2002 als Schriftsteller debütierte. "Sand" ist sein dritter Roman. Der an einem Hirntumor erkrankte Herrndorff konnte die Ehrung nicht persönlich entgegennehmen. An seiner Stelle bedankte sich Robert Koall, der Chefdramaturg des Dresdner Staatsschauspiels, für die Auszeichnung und übermittelte die Grüße des Preisträgers.
Der Preis für die beste Übersetzung ins Deutsche geht an Christina Viragh für ihre "ebenso dichte wie elegante", so Laudator Martin Ebel, Übertragung der über 1700 Seiten starken "Parallelgeschichten" des Ungarn Péter Nádas.
Sprachliche Kraft und Menschlichkeit
Die Jury würdigt damit eine schier titanische Übersetzungsleistung, die Christina Viragh mit Bravour gemeistert habe. Den Sachbuch-Preis erhält Jörg Baberowski, Historiker und Experte für osteuropäische Geschichte, für "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt". Laudator Jens Bisky hob die sprachliche Kraft und Menschlichkeit des Werkes hervor, das er als "Lehrgang in Trostlosigkeit" bezeichnete. Dies sei der Preis für historische Erkenntnis.
"Die Sonne geht immer hinter der Düne unter, die dir am nächsten ist", lautet ein afrikanisches Sprichwort. Wolfgang Herrndorff hat es Robert Koall mit auf den Weg gegeben, um es in Leipzig zu verlesen.