Legendäres Abschiedskonzert "The Last Waltz":Das waren die Sechziger

'The Last Waltz' Concert

The Band im Winterland Ballroom in San Francisco, hier unter anderem mit Joni Mitchell (Dritte von links) und Bob Dylan (Zweiter von rechts).

(Foto: Michael Ochs Archives/Getty)

Der letzte Auftritt von "The Band" war ein Abschiedskonzert, wie es die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Zum 40-jährigen Jubiläum gibt es nun eine opulente Neuausgabe.

Von Willi Winkler

Als sich die beiden begegnen, leidet Martin Scorsese mehr als sonst an Asthma. Eine schlimme Erkältung ist dazugekommen, und er bittet Robbie Robertson um ein Mittel zur Linderung. Robertson holt sein Döschen mit weißem Pulver hervor, kann damit aber nichts ausrichten, weil ihm Scorsese wie beim Schnick-Schnack-Schnuck sein eigenes entgegenhält: Touché!

1976 war das junge Hollywood bereits am Durchdrehen und existierte wie die Musikbranche nur mehr mithilfe einer allgegenwärtigen Diät aus Kokain und Wein, brachte aber in langen Nächten und endlosen Tagen eine Serie von Meisterwerken zustande.

Francis Ford Coppola hatte den zweiten "Paten" gedreht und ging an seinem Antikriegs-Kriegsfilm "Apocalypse Now" fast kaputt, George Lucas arbeitete nach "American Graffiti" an seinen "Star Wars", Scorsese bildete sich nach "Taxi Driver" ein, er könnte es mit den alten MGM-Musicals aufnehmen und ließ Robert De Niro und Liza Minnelli in "New York, New York" seine eigene Ehekrise spielen. Mitten in den Dreharbeiten fragte ihn Robertson, ob er das Abschiedskonzert der Band filmen könne, "The Last Waltz", das an Thanksgiving, am 25. November 1976, im Winterland in San Francisco stattfinden sollte.

Das war vor genau vierzig Jahren. Die bleierne Zeit der Ford-Regierung ging zu Ende, und ein krasser Außenseiter, ein Musikfan aus Georgia, wurde zum amerikanischen Präsidenten gewählt: Jimmy Carter.

Amerika wollte sich endlich von Nixon und dem Skandal um Watergate erholen und neu anfangen, als die selbstbewussten und kulturrevolutionären Sechziger sich in einer grandiosen Apotheose endgültig verabschiedeten.

Die Revolution wurde in Kalifornien freiwillig beendet

Nicht nur die Band feierte sich in einem letzten Walzer, sondern eine ganze Generation. Während im CBGB in New York längst die Ramones und die Talking Heads, Patti Smith und Blondie auftraten, wurde in Kalifornien die Revolution freiwillig beendet. Es war vorbei.

Robertson lässt seine eben unter dem pathetischen Titel "Testimony" (Zeugnis) auf Englisch erschienenen Memoiren mit dieser Götterdämmerung der Sechzigerjahre enden.

Die Band hatte sich einst um den Country-Anarchisten Ronnie Hawkins geschart, nannte sich folglich The Hawks, arbeitete sich zur härtesten Begleitcombo im gesamten Business hoch und wurde 1965 von Bob Dylan entdeckt. Dylan wollte sein akustisch gestimmtes Folksänger-Image hinter sich lassen und suchte nach elektrischer Verstärkung, die ihm diese bestens trainierte Tour-Gruppe bieten konnte.

The Band, bestehend aus Levon Helm (Drums), Rick Danko (Bass), Garth Hudson (Orgel und Akkordeon), Richard Manuel (Piano) und Robbie Robertson (Leadgitarre), begleitete ihn während zweier anstrengender Jahre durch die Welt. Helm, ursprünglich ihr Anführer, stieg bald aus, weil er den Druck nicht aushielt und lieber auf einer Bohrinsel im Golf von Mexiko arbeitete.

Gemeinsam überwanden sie Dylans Krise - indem sie miteinander spielten

Die anderen waren dabei, als Dylan im Mai 1966 in der Manchester Free Trade Hall als Judas beschimpft wurde. Seine Reaktion wurde legendär: "Play fuckin' loud!", und genau das tut die Band dann auch, als sie ihn infernalisch verstärkt in sein "Like A Rolling Stone" einstimmt.

Die Tour war so mörderisch, dass ihn ein kleiner Motorradunfall davon erlösen musste. So konnte Dylan die nächste, bereits geplante Tour absagen und zog sich in die Künstlerkolonie Woodstock weit oben im Staat New York zurück. Aus der inneren Emigration drangen nur widersprüchliche Signale: dass er viele Kinder habe, nur noch Filmmusik machen wolle, sich bei den Reaktionären in Nashville herumtreibe, dass er für immer gelähmt sei. Eine ganz neue Stimme hatte er angenommen, wenn er "Lay, Lady, Lay" sang.

Seine Begleitband, Levon Helm war wieder dabei, traf sich ebenfalls in Woodstock und gab sich ein düsteres Bürgerkriegsaussehen und den betonschlichten Namen "The Band".

Konzertfoto "The Last Waltz" The Band

The Band-Drummer Levon Helm.

(Foto: Steve Gladstone, Brian D. Hardin)

In Woodstock entstand "Music from Big Pink", die alkohol- und adrenalingetriebene Verbindung von Country und Rock 'n' Roll, die mit der Auskoppelung von "The Weight" sogar ein populärer Klassiker wurde. Dylan malte den Umschlag für die LP und steuerte "I Shall Be Released" bei.

Gemeinsam überwanden sie Dylans Krise, indem sie einfach miteinander spielten. Was zunächst nur in Bootlegs in die Welt gelangte, wurde 1975 unter dem Titel "The Basement Tapes" auch offiziell veröffentlicht. Die Band begleitete ihn auch, als er 1974 endlich wieder auf Tournee ging und wie ein Wiederauferstandener gefeiert wurde. Zwei Jahre später kam das Ende.

Alle sollten kommen

Nicht nur Dylan, auch seine Musiker waren ausgebrannt. Drogen wurden immer wichtiger, dafür die Proben vernachlässigt. Ihre Platten überzeugten niemanden mehr. Robbie Robertson verabredete einen letzten Auftritt, aber es sollte einer werden, wie ihn die Popmusikwelt noch nicht gesehen hatte.

Alle sollten kommen, alle, die zur Band-Geschichte gehörten: Ronnie Hawkins, Muddy Waters, Eric Clapton, die Kanadier Neil Young und Joni Mitchell, Ron Wood und Paul Butterfield. Scorsese, der seinen Film "Mean Streets" in Blutrot und Sixties-Schlager getränkt hatte, musste das Konzert filmen. Donald Trump besaß da noch kaum mehr als das Geld seines Vaters, aber huge sollte auch dieser Abgang werden, gigantisch, "The Last Waltz".

Es war schon immer etwas teurer, einen teuren Geschmack zu haben. Der Eintrittspreis betrug bereits vor 40 Jahren 50 harte Dollar. Dafür gab es Truthahn für alle an weißgedeckten Tischen, Tanz zum Après-le-dîner, Lesungen der Beat-Dichter Lawrence Ferlinghetti und Frank McClure sowie blitzende Kronleuchter, die aus einer anderen Götterdämmerung übrig geblieben waren, "Vom Winde verweht".

Eine Ennio-Morricone-Fülle, die auch 1976 schon nostalgisch wirkte

Der vollständigkeitssüchtige und frisch gekürte Literaturnobelpreisträger Dylan hat eben eine historisch-kritische Teilausgabe seiner Werke herausgebracht, 36 CDs nur mit den Live-Aufnahmen der gemeinsamen Tournee von 1966.

Weit weniger pompös kommt eine neue Ausgabe des Abschiedskonzerts seiner Band daher, die Rhino herausbringt: der Soundtrack des Films auf zwei CDs mit einem neu gemasterten Audio von den originalen Mastertapes.

Allerdings muss sich niemand mit einer so spartanischen Ausgabe begnügen: für den Liebhaber, der schon vor 40 Jahren nicht dabei war, erscheint eine Sammleredition mit Film, CDs, mit Interviews zwischen Scorsese und Robertson, mit Standfotos und einem 300-seitigen Faksimile von Scorseses Drehplan, für den erlesenen und wie gesagt teuren Geschmack in rotes Kunstleder gebunden.

Das muss wahrscheinlich so sein, und Weihnachten ist auch nicht mehr weit. Schließlich schwelgt auch das Walzer-Thema, als Leitmotiv am Ende von Robertson mit einer Harfengitarre wieder aufgenommen, in einer Ennio-Morricone-Fülle, die auch 1976 schon nostalgisch wirkte. Es dauerte dann noch anderthalb Jahre, ehe der Film ins Kino kam.

Dylan wollte seinen eigenen Film, das vermutlich zu Recht unbekannte Meisterwerk "Renaldo and Clara", nicht gefährden und gab deshalb nur zwei seiner Stücke frei. Robertson spielte seine Soli noch mal neu und besser ein, und bei Neil Young, der so ausdrucksvoll "Helpless" singt, mussten sie mühsam die Kokainbrösel vom Film kratzen, die ihm aus den Nasenlöchern hingen.

Der Film beginnt mit dem kategorischen Rock-'n'-Roll-Imperativ

Annähernd fünf Stunden dauerte das Konzert damals im Winterland. Levon Helm singt "The Night They Drove Old Dixie Down" mit mehr Feuer als ein wiedergeborener Christ aus den Südstaaten. Joni Mitchell falsettiert "Coyote", Van Morrison röhrt "Caravan", Dr. John grölt "Such A Night", als wär's morgens um fünf zwischen Nutten und Sägemehl in der letzten Bar in New Orleans, und die göttliche Emmylou Harris zirpt "Evangeline".

Zuletzt versammelt sich fast das ganze Ensemble um den Meister, versammelt sich um Bob Dylan, um mit ihm "I Shall Be Released" anzustimmen, und er selber singt, von Robertson begleitet, "Forever Young". Es ist die verlogenste, also die wahrhaftigste Hymne, die sich aus den Sechzigern herübergerettet hat.

Ein kleiner Weihnachtswunsch bliebe noch: Martin Scorseses Film, Kunstleder hin und Blu-Ray her, sollte endlich einmal wieder in einem richtigen Kino auf großer Leinwand zu sehen sein. "The Last Waltz" beginnt ja mit dem kategorischen Rock-'n'-Roll-Imperativ, der einst als Flammenschrift gegen die unverständige Umgebung gemeint war: "This Film should be played loud!" Es war einmal in Amerika vor genau vierzig Jahren.

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