"Layla M." im Kino:Gut integriert zu sein heißt, den Mund zu halten

Film Layla

Brav arbeiten und den Mund halten, wenn Rassisten sie beleidigen: die brillante Hauptdarstellerin Nora El Koussour als "Layla M."

(Foto: Missingfilms)

Kann man stolz auf eine Dschihadistin sein? Der holländische Spielfim "Layla M." hätte viel falsch machen können. Stattdessen schafft er mutiges, schonungsloses Kino.

Von Philipp Bovermann

Die Regeln werden nicht von Mädchen gemacht, schon gar nicht von Mädchen mit dunkler Haut und Kopftüchern. Layla würde es aber schon genügen, wenn die Regeln eingehalten würden. Die Jungs spielen Fußball, sie spielt Linienrichterin. Sie reißt die Fahne in die Höhe, brüllt: "Abseits!" Aber das ist dem Schiedsrichter egal. Er entscheidet auf Freistoß, ignoriert genervt ihre Proteste. Warum es immer so ein Gezeter "mit Leuten wie euch" sei, möchte er wissen.

Es ist noch alles offen, als Layla die Fahne auf das Spielfeld pfeffert und vom Platz marschiert, wütend und stolz, begleitet von einem Beat, der nach Club und Großstadt klingt. Menschen wie ihr, das begreift man sofort, könnte alles gelingen, so unerschrocken, wie sie ist. Dies ist aber nicht die Geschichte eines Aufstiegs. Stattdessen wird es darum gehen, wie Layla zu "Layla M." wird. Zu einer Dschihadistin.

Der abgekürzte Nachname dient in der Berichterstattung dem Schutz der mutmaßlichen Täter. Die holländische Regisseurin Mijke de Jong lässt Layla M. diese Unkenntlichkeit, diese Verschleierung, wenn man so will. Layla geht auf eine Schule in Amsterdam, hat bald Abschlussprüfungen, ist offenbar intelligent. Ihre aus Marokko stammende Familie ist "gut integriert". In Laylas Welt bedeutet das, dass sie brav arbeiten und ansonsten den Mund halten, wenn Rassisten wie der Schiedsrichter sie beleidigen. Darauf hat Layla keinen Bock.

Die junge Frau rebelliert gegen eine Welt, in der sich keiner an die Regeln hält

Es ist eine Entwicklung, die andere Leute zum Punk geführt hätte. Für westliche Wohlstandskids folgen aus dieser Protesthaltung, wenn es blöd läuft, ein paar Sozialstunden und ein Herr Vater, mit dem der Richter ein ernstes Wörtchen reden muss. Für Menschen wie Layla endet dieser Weg schlimmstenfalls in Syrien. Mit ihren Freundinnen macht sie Selfies, in Nikab und Tschador, schreibt "Gekommen, um zu bleiben" darunter und postet das Ganze im Internet. Ihrem Bruder bringt sie bei, wie man Koranverse murmelt und sich einen Bart stehen lässt, auch wenn er nicht versteht, was er da sagt. So recht tut sie das auch nicht, aber die Dringlichkeit in den Videos, die man sich in der Moschee herumreicht, imponiert ihr.

Eine Soldatin Allahs handelt nicht aus Eigennutz, erklärt die Freundin mit heiliger Ehrfurcht. Die Märtyrerin sei für eine Sache gestorben, größer als ihr Leben. Ihre Augen scheinen zu leuchten auf dem Video. Wie jeder junge Mensch mit ein bisschen Grips im Hirn und Saft im Herzen will auch Layla für eine Sache kämpfen, die groß ist und mit der man sich moralisch über die Eltern stellen kann. Mit voller Verschleierung, ein wandelnder Vorwurf, sitzt sie beim Essen, rührt ihren Teller nicht an. "Iss!", brüllt der Vater und haut mit der Faust auf den Tisch. Aber es ist zu spät.

Wie spielerisch, wie harmlos wirkte doch dagegen der Punk, dieses Gewächs gewärmter Bürgerstuben, in denen der Junior plötzlich mit Mercedes-Stern um den Hals aufkreuzte und seine Suppe nicht mehr löffeln wollte. "Schau dir das an!", sagt Layla zu ihrem Vater und reicht ihm den Laptop. Im Video ist ein Mann zu sehen, der seine beiden toten Kinder in den Armen hält und auf Arabisch Gott um Hilfe anfleht. "Das hätten wir sein können", sie und ihr Bruder, erklärt sie. Die Wurzel ihrer Radikalisierung ist, wie bei anderen Formen jugendlicher Gewalt gegen die bestehenden Verhältnisse, eine Trauer, die sich unter dem Druck des allgemeinen Schweigens entzündet hat. Layla sieht in ihrer schwarzen Robe immer auch ein bisschen aus, als sei jemand gestorben - was ja auch stimmt. Davon will der Vater nichts wissen, sie aber schon.

Das Leben im Nahen Osten besteht aus Warten. So hat Layla sich das nicht vorgestellt

Man hätte so viel falsch machen können bei diesem Thema. Die holländische Regisseurin und ihre brillante Hauptdarstellerin Nora El Koussour schaffen es hingegen, dass man Mitleid mit dieser Layla empfindet und zugleich - ja, tatsächlich! - stolz auf sie ist. Das ist mutiges Kino, aber bei aller Sympathie für ihre Heldin erspart die Regisseurin es Layla nicht, diesen Weg tatsächlich zu gehen. Sie heiratet heimlich Abdel, einen jungen Mann, mit dem sie in der Moschee scheue Blicke getauscht hatte. Mit ihm erhofft sie sich ein Leben in frommer Zweisamkeit im Nahen Osten. Der Weg dorthin führt aber erst einmal durch belgische Motelzimmer, durch die ersten gemeinsamen Nächte, die ersten Streits, schließlich in ein Ausbildungslager für Dschihad-Kämpfer. Dort muss Layla erst einmal warten, und das wird für den Rest des Films ihre Hauptaufgabe bleiben, während ihr Mann unterwegs ist. Einen Großteil dieser Warterei verbringt Layla in einer Wohnung im Jemen. Ihre Nachbarin ist Deutsche, kaum älter als sie, ebenfalls auf heiligem Kriegspfad unterwegs, daher streut sie gelegentlich ein "Inschallah" in ihr Jugendherbergs-Englisch ein. Sie ist Mutter und schon wieder schwanger, denn Allah braucht Söhne. In Syrien, sagt sie, werde alles anders. Die Utopie, so scheint es, ist immer besser, wenn sie lediglich als ein kriegstreiberischer Internet-Spuk existiert.

Kurz vor Schluss steht Layla wieder auf einem Fußballfeld. Diesmal aber nicht am Spielfeldrand, sondern im Tor. Das Feld befindet sich in einem Flüchtlingslager. Die Männer haben sich schon wieder nicht an die Regeln gehalten. Sie haben sich aus dem Staub gemacht, um gemeinsam zu sterben. Kein Schiedsrichter ist mehr da, der das Spiel noch abpfeifen könnte.

Layla M., Niederlande 2016 - Regie: Mijke de Jong. Buch: Jan Eilander, Mijke de Jong. Schnitt: Dorith Vinken. Kamera: Danny Elsen. Mit: Nora El Koussour, Ilias Addab. Verleih: Missingfilms, 98 Min.

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