Larry Clark wird 70:Von der unerträglichen Beiläufigkeit des Seins

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Popvater: Larry Clark im Jahr 2010.

(Foto: AFP)

In seinen Bildern steckte schon immer etwas vom Beatnik-Dichter Jack Kerouac und Kurt Cobains Songs für Nirvana - heute gehört ihre Ästhetik zum Standardrepertoire der Popkultur. Der Fotograf und Filmemacher Larry Clark, der an diesem Samstag 70 wird, zeichnet immer noch seine eigene Jugend auf - auch wenn diese heute andere leben.

Von Andrian Kreye

Wenn man genau hinsieht, geht es weniger um den Sex selbst, den die Teenager auf Larry Clarks Fotos und in seinen Filmen praktizieren. Es ist die Beiläufigkeit, mit der sie zur Sache gehen, die so viel über eine Jugendkultur sagt, die er seit seiner eigenen Teenagerzeit in den Fünfzigerjahren dokumentiert.

Da gibt es keine Erotik, keine Leidenschaft, keine Gefühle, sondern nur eine existenzielle Leere, die Clarks Jugendliche mit Drogen, Waffen, Skateboarding und eben auch Sex füllen, ohne je der Langeweile und der Ziellosigkeit zu entkommen. Da steckt mehr vom Beatnik-Dichter Jack Kerouac und Kurt Cobains Songs für Nirvana in den Bildern, als vom Spezialisten für viel zu junge Erotik, David Hamilton.

In seinem ersten Kinofilm "Kids" von 1995 sagt die Hauptfigur der Skater Telly in einer Szene: "Wenn du jung bist, gibt es wenig, was zählt. Wenn du etwas findest, das dich wirklich bewegt, ist das alles, was du hast. Wenn du einschläfst, träumst du von Pussy. Wenn du aufwachst, ist es das gleiche. . . Dem kannst du nicht entkommen. Manchmal, wenn du jung bist, musst du da einfach rein. Das ist es - ich liebe das Vögeln. Wenn man mir das wegnimmt, habe ich nichts."

Als er 1971 sein erstes Fotobuch "Tulsa" veröffentlichte, und 1983 den Folgeband "Teenage Lust", war diese verzweifelte Seite des amerikanischen Lebens noch ein Geheimnis. Er erinnert sich immer wieder daran, wie er als 15-Jähriger in Tulsa, Oklahoma, seiner Mutter bei der Arbeit im Fotostudio helfen musste, die sich auf Babyporträts spezialisiert hatte. Er war auf Speed, wenn er versuchte, die Kleinen mit albernen Kappen und Grimassen zum Lachen zu bringen. Und damals entstanden die ersten Bilder von seinen Freunden, wie sie sich die Nadel setzen, mit Pistolen herumspielen, miteinander schlafen. Heimlich.

Heute gehört Larry Clarks Ästhetik zum Standardrepertoire der Popkultur. Längst haben junge Fotografen sein Erbe angetreten, allen voran Ryan McGinley, dem Clark als Mentor auf den Weg half, aber auch Nan Goldin, Jürgen Teller, Wolfgang Tillmans. Auch Terry Richardson und Richard Kern versuchten sich an Clarks Bildsprache, verstanden allerdings nie, wo bei Clark die Trennlinie zwischen Dokumentation und Pornografie verlief.

Sein Alter wird im angekreidet

Das verstehen allerdings bis heute nicht alle. Als das Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris vor zwei Jahren eine Retrospektive zeigte, ließ die Stadtverwaltung die Ausstellung für minderjährige Besucher sperren. Was blieb den Beamten schon anders übrig? Clark spart keine Details aus. Dass er sie nicht dezidiert sucht, spielt im Jugendschutz dann keine Rolle.

Der Skandal um die Sperrung half Larry Clark damals über seine Identitätskrise hinweg, die wohl jeden Pionier erfasst, der merkt, dass die eigene Arbeit längst nicht mehr bahnbrechend, sondern Standard ist. In einer Zeit, in der jeder Teenie seine erotischen Abenteuer mit der Handykamera aufzeichnen kann, in der digitale Amateurpornografie immer und überall verfügbar ist, in der Textilkonzerne wie Levi's und American Apparel mit der Teenage Lust kokettieren, konnte der große alte Chronist der Subkulturen noch immer schockieren.

Sein Alter wird ihm allerdings schon länger angekreidet. Als er 1994 in New York das Skateboarden lernte, um mit den Laiendarstellern von "Kids" auf Augenhöhe zu kommen, war er schon 48. Er war schon fast sechzig, als er "Ken Park" drehte, der die übersexualisierte Langeweile der kalifornischen Skater so deutlich zeigte, dass er in Amerika nicht ins Kino kam und in Australien dezidiert verboten wurde. Nun wird er 70 Jahre alt.

Auch sein neuester Film "Marfa Girl" handelt von Teenagern. 19 Tage dauerten die Dreharbeiten in Marfa, jenem texanischen Wüstenstädtchen, das wegen Donald Judds Chinati-Stiftung zum exotischen Fluchtpunkt der Kunstwelt wurde. Und wieder verlieren sich die Protagonisten im Vakuum ihrer Jugend. Auch "Marfa Girl" kam nicht ins Kino. Nur ein einziges Mal wurde er auf einer Leinwand gezeigt, beim Filmfestival in Rom im vergangenen November. Acht Tage später veröffentlichte Clark den Film auf seiner Webseite larryclark.com, wo man ihn für knapp sechs Dollar ansehen kann.

In einem Interview mit dem Webmagazin Milk Made erklärte Larry Clark das Format zum Programm. "Jedes Kid unter 35 schaut sich seine Medien auf einem Laptop an." Man glaubt ihm das. So wie ihm seine Darsteller noch immer vertrauen, weil sie wissen, dass er sie nicht begeifert, sondern nur dokumentieren will. Er verwaltet da sein eigenes Erbe, denn letztlich zeichnet er heute immer noch seine eigene Jugend auf. Auch wenn die nun andere leben.

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