Lady Gaga im Konzert in Köln:Haute Couture für alle

Ja, auch bei "Born This Way Ball" blinkt, böllert und kracht es so überwältigend, dass man leicht die Orientierung verliert. Doch vor allem vermittelt Lady Gaga im Konzert das Bild einer schicken Mutter, die erst durch ihre Kinder geboren wird.

Jan Kedves

Wenn Lady Gaga an diesem Freitag ihren schwarzen, von Blut und Sperma inspirierten Duft "Fame" in die Parfümerien bringt und mit dem Rapper Kendrick Lamar eine neue Single, "Partynauseous", veröffentlicht, wenn sie demnächst als "La Chameleón" in ihrer ersten Filmrolle bei Robert Rodriguez zu sehen sein wird und parallel in den Klatschspalten mit ihrem Pudel Fozzie Karl Lagerfelds Luxusmieze Choupette Konkurrenz macht - wenn sie also mal wieder so ausartend schafft, vermarktet, glänzt und nervt, dass man unmöglich den Überblick behalten kann, dann muss man sagen: Entwarnung! Bei Lady Gaga gibt es auch Konzentration.

Lady Gaga

Lady Gaga auf Tour: hier noch in Vilnius, Litauen

(Foto: AP)

Das zeigt ihr aktueller "Born This Way Ball", den sie am Dienstag in der ausverkauften Kölner Lanxess-Arena erstmals auf eine deutsche Bühne brachte. Sicher, auch hier blinkt, böllert und kracht es so überwältigend, dass man leicht die Orientierung verliert, aber zur Mitte der Show hin klappt die gigantische Disney-Ritterburg, die Lady Gaga sich als Kulisse hat bauen lassen und deren Tore, Zinnen und Türmchen Platz für eine Band und allerlei Geburts-, Kreuzigungs- und Sexspiele bieten, mittig auf und im zweiten Stock öffnet sich: Lady Gagas schwarz-weiß tapeziertes Boudoir mit automatisch rotierender Garderobe - ohne Zweifel das Kraftzentrum der Show.

Das befreiende Potenzial von Mode preisen

Hier dreht sich in hypnotisierendem Tempo, nicht zu langsam, nicht zu schnell, neben verschiedenen Glitzerfummeln das ikonische Kermit-der-Frosch-Kostüm, das Lady Gaga zu Beginn ihrer Karriere trug. Wieder einmal scheint die interessanteste Gedankenübung im Zusammenhang mit dieser Künstlerin zu sein, wie sie es fertigbringt, unermüdlich das befreiende Potenzial von Mode zu preisen und dabei Gleichheit zu predigen, ohne dass sie dafür von ihren "kleinen Monsters", wie sie die Fünfzehntausend in Köln nennt, was auf die Mütze bekommt.

Mode bewirkt das Gegenteil von Gleichheit, nämlich Distanzierung und Hierarchie. Gleich ist man höchstens im Wunsch, sich unterscheiden zu wollen. Niemand zeigt das besser als Lady Gaga selbst: In den letzten Monaten hat sie mehr als je zuvor Haute Couture zu ihrem Terrain erklärt. Ihr privilegierter Zugang zu Modehäusern und Designern erlaubte ihr, aus den Showrooms von Chanel, Louis Vuitton und Marc Jacobs stolz "verbotene" Fotos zu twittern. Gerade war sie auf dem Titel der wichtigen "September Issue" der amerikanischen Vogue. Was ist daran "gleich"?

Perückenballade am Motorradklavier

Ein Blick ins Kölner Publikum zeigt viele gewöhnliche Turnschuh-Sweatshirt-Basecap-Kombinationen, Frauencliquen haben sich blinkende Fliegen ins Haar gesteckt, hihi, und ja, da ist das dicke Mädchen, das sich mit schwarzem Tüll, einer goldenen Erste-Hilfe-Decke und viel Make-up zum Schulhofzombie gestylt hat und dabei toll und auch ein bisschen traurig aussieht. Sie hockt im unbestuhlten Innenraum hinten allein am Rand, ohne Freunde. Vielleicht haben ihre Freunde keine 85 Euro für die billigste Eintrittskarte.

Wie kommt es, dass Lady Gagas Präsentation aber nicht zur Farce gerät, dass sich in der Halle tatsächlich eine Art Verbundenheitsgefühl einstellt? Zunächst einmal legt "Mother Monster" mühelos Bescheidenheit an den Tag: "Ihr habt mich zu dem gemacht, was ich bin, ich weiß es zu schätzen, dass ihr die Tickets gekauft habt, die teuer sind - danke, danke, danke!", sagt sie zwischen einer makellos rauchigen A-cappella-Version von "Willkommen, bienvenue, welcome . . ." und ihrem Hit "Telephone".

Das Bild einer schicken Mutter, die erst durch ihre Kinder geboren wird, welche - logische Konsequenz - im Angesicht ihrer Schöpfung niemals Neid, sondern immer nur Stolz empfinden können: Das ist der eine Trick von Lady Gaga. Der andere besteht darin, dass sie es glaubhaft schafft, - zum Beispiel in der am Motorradklavier vorgetragenen Perückenballade "Hair" - ihre Verwandlungen als Effekt einer existenziellen Unsicherheit darzustellen. Wer würde nicht unterschreiben, dass sich ein schlechter Tag durch ein schönes Outfit erträglich machen lässt, und wer würde angesichts solcher tiefen, geteilten Wahrheiten noch einen Unterschied zwischen Selbstgebasteltem und Hochpreisigem sehen?

Kurz: Lady Gaga macht sich bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung maximaler Differenz mit ihrem Publikum gemein, und seit den röhrenden Gitarrennummern ihres "Born This Way"-Albums hat sich dieses sogar noch in Richtung Pferdeschwanz tragender Männer mit "Wir müssen nur aufhören, weniger zu trinken"-T-Shirts erweitert. Es hat also schon seine Richtigkeit, wenn Lady Gaga am Ende ruft: "Deutschland was born this way!"

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