Lady Gaga auf Tournee:Monströs normal

Der billige Sex-Kitsch und die grelle Blondierung sind nur Grundierung: Warum Lady Gaga ein Popstar ist, den wir eigentlich gar nicht verdient haben.

Jens-Christian Rabe

In der Politik gibt es die Sehnsucht nach dem guten König. In der Popmusik die nach dem klugen Superstar. Im Fall der in den vergangenen Monaten sehr erfolgreichen und sehr berühmt gewordenen amerikanischen Entertainerin, Sängerin und Songschreiberin Lady Gaga, die ihre "The Fame Ball Tour" zu ihrem Debütalbum "The Fame" jetzt in Deutschland fortsetzt, scheint diese Sehnsucht mal wieder erfüllt zu werden.

Lady Gaga auf Tournee: Was an Lady Gaga so interessant ist, ...

Was an Lady Gaga so interessant ist, ...

(Foto: Foto: Universal)

In Interviews bekennt die 23-Jährige, die mit bürgerlichem Namen Stefani Joanna Angelina Germanotta heißt und aus bestem New Yorker Hause stammt, Beethoven zu verehren und jeden Tag Rilke zu lesen. Sie zitiert gerne Poptheoretisches von Andy Warhol und fachsimpelt über die Dialektik subkultureller Konventionen: "Denn tatsächlich ist es ja so, dass es in der Subkultur total unangepasst ist, angepasste Musik zu machen." Sie kennt sich da vermutlich aus. Wenn stimmt, was die Legende will, machte sie sich schließlich in New Yorker Clubs mit der Gogo-Tänzerin und Performance-Künstlerin Colleen Martin alias Lady Starlight und ihrer gemeinsamen Burlesque-Show "Lady GaGa and the Starlight Revue" einen Namen.

In einem Text, den Germanotta offenbar noch als Musikstudentin an der Tisch School of Arts der New York University verfasste, geht es im Anschluss an Montaignes Aufsatz "Über eine Missgeburt" in einwandfreiem akademischen Jargon um Fragen ästhetischer Normen: "When we view something contrary to custom we assign them a monstrous quality". Dingen, die dem Gewöhnlichen zuwiderlaufen, sprechen wir automatisch etwas Monströses zu. Bei ihren Konzerten leuchtet nach dem letzten Song auf dem Bildschirm der Satz auf: "Pop Music will never be low brow" - Popmusik wird nie eine anspruchslose Sache sein.

So weit, so stimmig. Einen echten Halt im Werk hat der clevere ideelle Mantel dennoch erst einmal nicht. Das Album ist dicht produzierter, druckvoll stampfender Highscore-Disco-Pop auf der Höhe der Zeit, der aber die letzten Taten der Schrittmacherinnen des Genres, Madonna, Kylie Minogue und Britney Spears, nicht übertrifft. Und das obwohl Germanotta besser singen und Klavier spielen kann als ihre Konkurrentinnen und selbst maßgeblich am Songwriting beteiligt war. Die Texte sind leidlich explizit, aber höchstens slapstickhaft anstößig. Und die Songs "Just Dance", "Lovegame" und "Poker Face" makellose zeitgenössische Pop-Songs. Grenzen werden nicht verschoben.

Pressekonferenz mit Gasmaske

Aber so selbstverständlich wie dieser Mangel klingt, ist er vielleicht gar nicht. Denn nicht nur Lady Gaga selbst ist schon früher einschlägig als Songschreiberin in Erscheinung getreten (sie arbeitete bereits für die Pussycat Dolls und ihr Song "Quicksand" ist auf der europäischen Version von Britney Spears' jüngstem Album "Circus" zu hören). Auch Produzent Rob Fusari war an Erfolgen von Destiny's Child beteiligt und der Marokkaner Red One, der ebenfalls mitproduzierte, unterhält einen guten Draht nach Schweden, wo zuletzt die wichtigsten Songs und Sounddesigns des Mainstream-Pop ausgetüftelt wurden.

Dennoch: Weit über sich hinaus weist etwas anderes an der Figur Lady Gaga. Mit der Form von im Pop längst standardisierter Selbstreflexivität hat das nur zu einem Teil zu tun. Weiter führen ihre Kostüme und deren Präsentation.

Die bis ins Grenzgebiet zum billigen Sex-Kitsch glamourösen Lack- und Leder-Kombinationen samt der grell-blonden Haare sind dabei nur die Grundierung. Der mancherorts vorgebrachte Trash-Vorwurf trifft deshalb die Sache überhaupt nicht. Viel wichtiger sind die Teile der Gaga-Garderobe, die nur unter Verzicht auf jede Bequemlichkeit tragbar sind. Das bei der kleinsten Bewegung wackelnde Metallgestänge etwa, das sie in der Sendung von Ellen DeGeneres trug, das Blasen-Kleid, mit dem sie bei Auftritten am durchsichtigen Flügel sitzt, oder die schwarze und offenbar undurchsichtige Gesichtsmaske, mit der sie kürzlich zu einer Pressekonferenz kam und erst einmal unsicher tastend ihren Sitz suchte.

Die Liebesbekundungen der Paris Hilton

Eigentlich hochnotpeinlich auch die Situation, als sie interviewt wurde von Paris Hilton (die wie Gaga übrigens die katholische Schule Convent of the Sacred Heart in Manhattan besuchte). Auf YouTube kann man der Sängerin dabei zusehen, wie sie die unterwürfig leiernden Liebesbekundungen der notorischsten Prominenten der Welt pariert, indem sie zu ihren Einflüssen noch schnell "media culture" und eine "obsession with fame" hinzufügt. Nicht ohne plötzlich zu bemerken, wie aufregend es ja gerade deshalb sei, hier mit "Mrs. Fame" persönlich zu stehen, deren gefloppter Song "Stars Are Blind" im Übrigen ein ganz hervorragender Popsong gewesen sei: A-ma-zing!

Die scheinbar ohne Not provozierten Unbeholfenheiten und irren Deplatzierungen wirken auf den ersten Blick albern, auch lächerlich. Die bewundernswerte Ungerührtheit jedoch, mit der Germanotta in diesen Situationen agiert und dadurch souverän ihre Würde bewahrt, kann unmöglich reiner, haltloser Selbstdarstellungsdrang sein. "When we view something contrary to custom we assign them a monstrous quality" - das heißt eben auch: Wem es gelingt, die Würdelosigkeit als Ansichtssache zu entlarven, der hat es darauf abgesehen, die Monströsität der Normalität zu enttarnen. Mehr kann großer Pop nicht tun.

Die Konzert-Termine in Deutschland: 16.7. München, 17.7. Köln, 18.7. Berlin, 26.7. Hamburg

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