KZ und Ort der Wiedergeburt: Bergen-Belsen:"Jeder hatte Schuldgefühle"

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Direkt neben dem Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo Zehntausende ihr Leben ließen, entstand 1945 ein Ort der Wiedergeburt: eine lebendige jüdische Gemeinde. Der NDR zeigt heute seine Geschichte.

Christiane Langrock-Kögel

Sie sprechen von einem Ort der Wiedergeburt, vom Geist des Überlebens. Sie sprechen von Bergen-Belsen, und damit für alle Welt von einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten in der Lüneburger Heide, in dem zwischen 50 000 KZ-Häftlinge und 20 000 Kriegsgefangene sterben mussten. Die Überlebenden meinen aber nicht die KZ-Baracken, wenn sie von ihrer Wiedergeburt in Bergen-Belsen sprechen.

Angela Sonntag recherchierte für ihren Film über Bergen-Belsen in New York und stieß auf das Ehepaar Bloch. (Foto: Foto: NDR/Wolfgang Jost)

"Wir waren so allein"

Es gibt ein zweites Bergen-Belsen, dessen Geschichte sehr viel weniger bekannt ist als die des Konzentrationslagers. Nur anderthalb Kilometer neben den Massengräbern im Heideboden haben die Briten 1945 das "Displaced Persons Camp" Bergen-Belsen eingerichtet, für all die am Leben gebliebenen, die nicht wussten, wohin sie nach der Befreiung gehen sollten; die keine Familie mehr hatten, zu der sie hätten zurückkehren können; die nicht auswandern konnten oder durften.

Am Ort der Vernichtung entstand in jenem Camp in einer ehemaligen Wehrmachtskaserne 1945 die erste jüdische Gemeinde Niedersachsens - bald ein lebendiges "Shtetl", in Selbstverwaltung und mit einer eigenen Polizei, mit Schule und Theaterbühnen. Ein neuer Ort für die lange entbehrten Traditionen und Feste. Erstmals wieder Kerzen und die Gebete, die man so viele Jahre nicht gehört hatte - "es war erschütternd, die Räume zitterten", erzählt eine Überlebende. Das ist der Ort der Wiedergeburt, der auch Bergen-Belsen heißt.

Die NDR-Fernsehredakteurin Angela Sonntag hat für ihren Film über jenes andere Bergen-Belsen drei Jahre lang recherchiert. Beim 60. Jahrestag der Befreiung des KZ ist sie dem Ehepaar Toni und Josef Dreilinger begegnet, die sich im DP-Camp Bergen-Belsen kennengelernt haben. Die dort heirateten und ihr erstes Kind bekamen. Sie tragen diesen Film, gemeinsam mit einem zweiten Bergen-Belsen-Paar, das Sonntag in New York gefunden hat.

Die zwei Seiten von Bergen-Belsen

Die Dreilingers und die Blochs erwecken die historischen Bilder zum Leben, die Angela Sonntag in jahrelanger Kleinarbeit zusammengesucht hat. In Toni Dreilingers Gesicht, in ihren Augen und Augenbrauen, deren Ausdruck fließend wechselt zwischen größter Wehmut und freudigem Lachen, spiegeln sich auch die zwei Seiten von Bergen-Belsen: Der Vernichtung ist sie dort, als einzige Überlebende ihrer Familie, knapp entkommen. Und ihr neues Leben, ihr neues Glück, hat nur anderthalb Kilometer davon entfernt begonnen.

Die Freundschaften, die sie im DP-Camp geschlossen haben, sagen die Dreilingers, haben bis heute gehalten. 1946 haben im Camp mehr als 100 jüdische Paare geheiratet. Im zweiten Jahr waren drei Geburten an einem Tag keine Seltenheit. "Wir waren so allein", sagt Toni Dreilinger. "Jeder hatte Schuldgefühle, dass er überlebt hat und nicht seine Eltern, Geschwister, Männer, Frauen, Kinder. Wir mussten unserem Leben einen Sinn geben", sagt ihr Mann.

Deshalb haben sie sich gesucht und gefunden in Bergen-Belsen, er als Koch in der Großküche, sie als Schwesternhelferin. Beinahe sechzig Jahre ist das her. Ihr Sohn Pinchas, geboren im Camp, fährt immer wieder an den Ort seiner Geburt: "Er ist ein Teil von meinen Eltern, und ein Teil von mir."

"Warten auf die Heimat" hat das zweite Bergen-Belsen erstmals im Film beschrieben. Es ist ihm gelungen, aus den zwei Geschichten des Ortes eine zu machen. Für die Überlebenden ist das wichtig. So bleibt das, was sie mit Bergen-Belsen verbinden, nicht bei Verfolgung und Ermordung stehen.

Warten auf die Heimat, NDR, 23.00 Uhr.

© SZ vom 15.1.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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