Kylie Minogue auf Tour:Nananananananananananananana

Ein zirkuspferdhaftes Missverständnis: Die Benutzeroberfläche Kylie Minogue beginnt in München ihre Deutschland-Tournee.

OLIVER FUCHS

Vor dem Eingang steht ein Mann mit einer Motorradjacke und verzehrt eine Käsesemmel.

Kylie Minogue auf Tour: Einmal trägt sie königsblauen Federschmuck, der sie wie eine Kreuzung aus Truthahn und Osterhase in einem von Dagmar Berghoff moderierten Fernsehballett aussehen lässt.

Einmal trägt sie königsblauen Federschmuck, der sie wie eine Kreuzung aus Truthahn und Osterhase in einem von Dagmar Berghoff moderierten Fernsehballett aussehen lässt.

(Foto: Foto: dpa)

Daneben seine unglücklich blondierte Tochter und eine Ehefrau, humorlose Bluse, Theaterpremieren-Gesicht.

Die drei streiten sich, wie viele Tonnen Federn denn nun aus dem Pariser Lido nach München in die Olympiahalle gekarrt wurden.

1,5 Tonnen? 3 Tonnen? 12 Tonnen?

"Jedenfalls ein halber Laster voll", sagt der Mann mit der Semmel und nimmt einen Schluck Bier.

"Stand in der Zeitung." Seine Frau: "Das hätte aber jetzt nicht sein müssen." Er: "Was?" Sie: "Na, jetzt schon Bier!" - "Läuft halt gut rein."

Dann zerrt die ungeduldige Tochter ihre Eltern in Richtung Eingang. Zurück bleibt im Staub eine angebissene Käsesemmel.

Der Käse schwitzt.

Wer an diesem Abend definitiv nicht schwitzt, ist Kylie Minogue. Kein Tropfen, nirgends.

Sie gerät nicht mal außer Puste, als sie mit roten Stöckelschuhen über ein Spalier von knieenden Tänzern klettert und dann auf dem Barren Turnübungen im Stil der frühen Aerobic-Lehrvideos exekutiert.

Irgendwie hat man es ja geahnt: Diese Frau ist ein virtuelles Wesen, eine Benutzeroberfläche.

Am besten kommt sie zur Geltung, wenn ein Videoregisseur sie inmitten eines animierten Kubrick-Sci-Fi-Ambientes platziert, wie bei "Can't get you out of my head", ihrem ästhetisch avanciertesten Hit aus dem Jahr 2001, der mit dem schönen "Nanana-nanananana-nanana"-Refrain.

Damals wurden sogar Intellektuelle auf die Künstlerin aufmerksam, die vorher wenig mit ihr anzufangen wussten, weil es nichts zu verstehen oder zu deuten gab, kein Dahinter, keinen doppelten Boden.

Die Botschaft war: Ich bin okay, du bist okay, und wenn wir uns verlieben, sind wir gemeinsam noch okayer.

Ihre Greatest-Hits-Tournee soll nun ein Rückblick sein auf 20 Jahre Show-Schaffen, und wer erwartet hat, dass sich die einzelnen Lieder zu einer sinnhaft geschlossenen Lebenswerk-Einheit runden, ist bei Kylie Minogue natürlich an der falschen Adresse.

Kostüme, Stile, Songs: Alles purzelt durcheinander. Einmal trägt sie königsblauen Federschmuck, der sie wie eine Kreuzung aus Truthahn und Osterhase in einem von Dagmar Berghoff moderierten Fernsehballett aussehen lässt, ein andermal mintgrünen Sekretärinnen-Look, derart auf Fünfziger-Jahre getrimmt, dass man meint, Theo Lingen biege jeden Moment um die Ecke, und zwischendurch treten ihre Tänzer auch mal mit Gladiatoren-Röckchen auf, kombiniert mit Karneval-in-Rio-Kopfputz.

Wahrscheinlich ist das postmodern gemeint, es wirkt aber einfach nur behämmert.

Bewundernswert ist die Unbefangenheit, mit der Kylie Minogue ihr selbst nach Achtziger-Jahre-Grässlichkeitsstandards immer noch sehr grässliches Balladen-Frühwerk originalgetreu zum Vortrag bringt.

"Especially for you", "Tears on my pillow" - da wird wirklich nichts ausgelassen und erspart, so wie insgesamt ja auch keine Kosten und Mühen gescheut wurden, um die Sause mit angemessenem Tamtam auf die Bühne zu stemmen.

Das Konzert beeindruckt vor allem in hydraulischer Hinsicht: Ständig öffnet sich - wohl um die Eindimensionalität des Gezeigten auszugleichen - irgendwo eine Falltür, einmal surrt aus dem Nichts ein Etwas hervor, das sich zur dreistöckigen Schokoladentortenbühne auffaltet.

Die Menge der eingesetzten Federn aus dem Pariser Lido ist beträchtlich, wir tippen auf drei Tonnen.

Kurz: Ein großartiger Abend, der nicht hätte sein müssen, aber wahrscheinlich dennoch gut reinlief. Spiel und Spaß für die ganze Familie.

Vielleicht haben sich die Intellektuellen doch getäuscht in Kylie Minogue, vielleicht steckt da weit weniger dahinter als angenommen.

Sie beschäftigt 26 Autoren in ihrem Kreativ-Team, mehr als Harald Schmidt, als er noch fünfmal pro Woche sendete. 26 Autoren? Was machen die bloß den ganzen Tag?

Für "Nanana-nanananana-nanana" würden 24 Autoren doch völlig genügen.

Konzerte: 4. 4. Hamburg, 5. 4. Köln

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