Kurzkritik:Zu viel Dreck

Die Mittelalter-Rockband "In Extremo" im Zenith

Von DIRK WAGNER

"Wir werden uns hüten, ein politisches Statement abzugeben", sagt der In Extremo-Sänger Michael Robert Rhein alias "Das Letzte Einhorn" im gerade mal zur Hälfte gefüllten Zenith. Warum sie sich davor hüten, verrät er nicht. Stattdessen liefert er im Nachtrag doch noch eine Art Stellungnahme: "Aber wenn man auf der ganzen Welt mit Dreck beschmissen wird, ist es Zeit, Flagge zu bekennen", sagt der blondierte Sänger, lässt allerdings offen, wer genau ihn auf der ganzen Welt mit welchem Dreck beschmeißt. Rhein erklärt auch nicht, wie eine Flagge, zu der man sich offenbar bekennen soll, gegen den Dreck schützen könnte. Stattdessen stimmt er den Song "Lieb Vaterland, magst ruhig sein" an, eine viel zitierte Textzeile aus dem nationalistischen Lied "Die Wacht Am Rhein". Unklar bleibt, ob In Extremos Aufbereitung jener Textzeile nun pathetisch mit einer Kriegsromantik spielt, oder vor einem Krieg warnen will, der am Ende des Songs mit Sirenengeheul und entsprechend ausgerichteter Pyrotechnik auf der Bühne skizziert wird. Wie würde ein Anti-Kriegs-Song aber zum vorausgeschickten Aufruf passen, Flagge zu bekennen? Oder meint "Das Letzte Einhorn" am Ende gar die Friedensflagge mit der Taube und dem Ölzweig, mit welcher man sich nun gegen einen weltweit geschmissenen Dreck positioniert?

Es ist kaum anzunehmen, dass gerade diese Flagge die Berliner Mittelalter-Rockband davon abhalten könnte, auch künftig vor jubelnden Fans Gedichte wie das berühmte "Der Erdbeermund" von François Villon jede Lyrik zu nehmen, indem sie - von aller Erotik befreit - hinausgegrölt wird, wie kurz zuvor noch der Schüttelreim "Sternhagelvoll / Zwei Promille über Soll / Auf Schaukelschuhen durchs Leben / Auf Wolke Sieben schweben". Dagegen spricht schon der über 20 Jahre andauernde Erfolg der Band, die die Stromgitarren einer Rockkultur mit den Marktsackpfeifen, der Schalmei, dem Hackbrett und der Harfe einer mittelalterlich anmutenden Musik mischt. Soeben waren sie damit auch auf Russland-Tournee. Prompt attestiert der Sänger, dass es nette Leute in Russland gebe, denen er auch ein Lied widmet: "Roter Stern". Da das Stück neben anderen Russland-Klischees auch dieses bedient, hätte es natürlich auch "Wodka-Flasche" heißen können. Oder wie alle anderen Stücke auch: "Lasst uns gegen den Dreck saufen, mit dem man uns weltweit beschmeißt!"

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