Kurzkritik:Wie im Roman

Der Schweizer Michel Contat, Vertrauter, Kenner und Herausgeber Jean-Paul Sartres, über "Paris 1959", die Stadt an der Seine, die ihn als jungen Literaturstudenten einst wie magisch angezogen hat.

Von Cornelius Wüllenkemper

Die "Alternativlosigkeit", beliebtes Argument der politischen Debatte, galt auch lange für das Paris Jean-Paul Sartres. Der Schweizer Michel Contat, langjähriger Mitarbeiter, enger Vertrauter und späterer Herausgeber des Philosophen, schreibt in dem sehr persönlichen Erinnerungsband "Paris 1959", was ihn magisch in die Stadt zog, der vor allem Sartre den Ruf als intellektueller Nabel der Nachkriegswelt einbrachte.

Contat, dessen Vater weniger Interesse an Erziehungsfragen als am Glücksspiel und an reichen Blondinen hat, flüchtet mit gerade noch bestandener Matura als angehender Literaturstudent aus Lausanne an die Seine. "Der Schock der Realität war hart", denn als "lächerlicher Tölpel" muss er zunächst sein Schweizer Idiom loswerden, um sich wenigstens in der Boulangerie Respekt zu verschaffen. Auch die Pariser Nächte sind wenig lustig, die Jazz-Bars überteuert und die Straßen wegen drohender Anschläge der algerischen Befreiungsfront unter Polizeibewachung.

Unter drei Decken und mit jeder Menge Keksen und Joghurt kämpft sich Contat im feuchtkalten Pensionszimmer "menschenscheu und einzelgängerisch" durch Sartres "Das Sein und das Nichts". Im Bistro wärmt er sich auf, bis das Herz vom Kaffee pocht. Nach der Zeitungslektüre, dem "Morgengebet des modernen Menschen", begegnet er eines Tages tatsächlich Sartre und Beauvoir: "Sie haben sich umgedreht, er neugierig, freundlich, sie in Eile, gereizt, wir haben sie nur verwirrt angestarrt." Was Contat später zum engsten Sartre-Vertrauten und gründlichsten Kenner seiner Werke machte, lässt "Paris 1959" nur erahnen. Sartre wirkt wie eine Romanfigur aus fernen Zeiten. Contats kurzweilige Erinnerungen an Leben, Politik und Denken der Zeit zeigen jedenfalls, wie aus naiven Träumen harte Realität wurde.

Michel Contat: Paris 1959. Notizen eines Waadtländers. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Mit einem Nachwort von Luc Weibel. Limmat Verlag, Zürich 2017. 92 S., 16 Euro. E-Book 13,99 Euro.

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