Kurzkritik:Vom Himmel durch die Welt zur Hölle

Kurzkritik: Etwas arrogant, dennoch verführerisch und trotz allem nihilistisch: René Pape schmeißt als Mefistofele seine Höllen-Unterhaltungsshow an.

Etwas arrogant, dennoch verführerisch und trotz allem nihilistisch: René Pape schmeißt als Mefistofele seine Höllen-Unterhaltungsshow an.

(Foto: Wilfried Hösl)

Münchner Opernfestspiele: Ein furioser René Pape in Arrigo Boitos "Mefistofele" im Nationaltheater

Von Rita Argauer

Die Hölle ist offen. Schon während des Einlasses zur Inszenierung von Arrigo Boitos "Mefistofele" an der Bayerischen Staatsoper herrscht auf der Bühne eine Höllenparty inklusive gelangweiltem Höllengesindel, das mit dem Feuer seiner Feuerzeuge spielt, ausstaffiert und eingekleidet im - bei theatralen Höllendarstellungen fast obligaten - etwas kitschigen Gothic-Sex-Look. Außerdem gibt es noch eine Leuchtschrift, die "open" verkündet.

Dann gibt es ein bisschen Percussion-Geklacker von der Bühne und ein paar rhythmische Antworten aus dem Orchestergraben darauf, bis der Dirigent Omer Meir Wellber ein tiefes Bass-Grummeln anschwellen lässt und René Pape als ein dandymäßiger Leibhaftiger sein persönliches Höllen-Unterhaltungsprogramm anwirft: Zuerst ein Grammofon, dann eine Leinwand, auf der New-York-Impressionen mit Flugzeugen gegengeschnitten sind, die eine eindeutige Impression des heutzutage als das Böse definierten hervorrufen. Und auch, wenn das alles ein bisschen ins Klischee hängt, und das Szenische (Inszenierung: Roland Schwab) als etwas einfaches assoziatives Beiwerk gelesen werden, es entstehen großartige Theatermomente daraus, die sich zu einem überaus spannenden Abend zusammenfügen.

Das mag vielleicht auch daran liegen, dass diese Oper an sich ziemlich ungewöhnlich ist. Der Komponist war hauptberuflich Librettist (unter anderem schrieb er Verdis "Falstaff" und "Otello") - "Mefistofele" ist seine einzige Komposition und das Libretto orientiert sich stark an der Sprache in Goethes Vorlage. Doch Boito hat eine Partitur geschrieben, die eng an dieser Sprache entlang verläuft, was ein ziemlicher Kontrast zur italienischen Opern-Konvention dieser Zeit ist, in der die Musik den Klang der Worte bestimmt. Bei Boito aber bestimmen die Wortbedeutungen den Klang der Musik. Und so erklingt die Partitur als cineastischer Atmosphärenstrom sparsam, zum Teil fast spärlich instrumentiert. Sie stellt einzelne Worte aus und vermag das im wörtlichen Sinne Faustische, aber auch das teuflisch Doppelzüngige dieser Sprache kleinteilig zu färben. Es sind starke Kontraste in dieser Partitur, die sich blitzschnell wandelnd immer dem gerade gesungenen Inhalt anpasst. Mal schreiend laut, aber größtenteils eher dünn und eindeutig in der Wahl der jeweiligen Stimmgruppen.

Omer Meir Wellber leitet das Staatsorchester dabei zurückhaltend, er will nicht mehr von der Musik als das, was sie sowieso zu bieten hat - den Rest überlässt er den großartigen Sängern. Allen voran René Pape in der Titelrolle. Und der - man kann es sich fast denken - hat hier eine Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben ist. Er lässt den Mefistofele arrogant beiläufig daherlabern. Er lässt ihn hintergründig schmunzeln und bedrohlich in Versuchung führen. Und er kann ausgesprochen gelassen seinen "stets verneinenden" nihilistischen Geist offenbaren, während die Worte in einer tonal absteigenden Linie in ein buchstäbliches Nichts hineinpurzeln. Papes ohnehin schon große erzählerische Kraft hat in dieser Musik einen Partner für ganz großes Theater. Aber auch Kristine Opolais schwärzt ihren Sopran als Margherita - nach einer etwas schwachen Gartenszene im zweiten Akt - schließlich finster ein.

Hier geht es nicht mehr um Schönheit oder Kunstfertigkeit des Gesangs, wenn sie als gebrochene und ihrer Seele entledigte Kindsmörderin die Koloraturen ihrer Arie nicht als Verzierung nutzt, sondern die Töne als harte und eiskalte Stelen präsentiert. Joseph Calleja gibt seinen Faust als etwas schmierigen Unsympath, strebend, aber auch streberhaft, der in seiner Königsvision am Ende in die Psychose kippt, während der Chor sich von den Himmelsscharen zur Hexentruppe wandelt und zur "schon verlorenen Welt" tanzt. Und so entsteht über das Böse und dessen Verführungskraft ein verführerisch großartiger Kunstgenuss, dessen Wirklichkeitseinschlag an diesem Wochenende besonders nahe geht.

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