Kurzkritik:Verwandte Fremde

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Christian Springers neues Programm

Von Oliver Hochkeppel, München

Jeder Premierenbesucher von Christian Springers neuem Programm "Alle machen. Keiner tut was" bekam hinterher am Ausgang des Lustspielhauses ein "Dankeschön" in die Hand gedrückt: nicht nur eine DVD des alten Programms, sondern auch ein Stück Aleppo-Seife, nun freilich als eines der Projekte von Springers Hilfsorganisation "Orienthelfer" in der Türkei hergestellt. Beides verpackt in einer "Indischen Zeitungstasche", einem bemerkenswerten Upcycling-Straßenkinderprojekt in Neu Delhi.

Immer mehr ist Springer ja zuletzt ein Mann der Tat geworden, vielleicht deshalb beginnt sein neues Programm mit einem Stoßseufzer über all die "Laberei". Aber Springer ist eben auch ein Mann des Wortes. Einer, der sprachlich verarbeiten muss, was ihn gerade beschäftigt, ärgert oder belustigt. Und das ist für einen zwischen den Welten und Kulturen Pendelnden wie ihn nicht zuletzt die aktuelle, reichlich absurde Wertediskussion. Einen sehr lustigen, lehrreichen und zwei-, dreimal auch berührenden Abend lang darf man also - neben einigen Exkursen zur Tagespolitik von Söder bis Trump natürlich - damit verbringen, wie Springer den Katalog vermeintlicher deutscher oder bayerischer Grundwerte abklopft - und zumeist als Missverständnis entlarvt.

Pünktlichkeit, Offenheit oder Demut, Tradition, Bildung oder Religiosität, fast alles wird zum Popanz aufgemotzt, bei dem die gefühlte Wirklichkeit der tatsächlichen den Rang abläuft. Ein Popanz zur Angsterzeugung, mittels derer man fast alles durchdrücken kann. Dabei stimmt die Prämisse fast nie, wie Springer besonders schön am Beispiel des gegen das Fremde ins Feld geführte Bayerntums vorexerziert. Bis hin zu den syrischen Bogenschützen der Römer verfolgt er dessen Mischkultur zurück, mit dem Fazit: "Seien Sie nett zu den Fremden, es kommt Verwandtschaft." Noch hinreißender seine Schlussparabel über Angstfreiheit: Ausgerechnet die sprichwörtliche Mimose zieht sich nicht mehr ein, wenn man sie lange genug im Topf fallen lässt, aber rechtzeitig abfängt.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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