Kurzkritik:Übermütig

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Zarter Elektro-Pop aus Ellie Gouldings "Delirium"

Von Hannah Vogel, München

Verborgen hinter weißen, wallenden Tüchern steht die britische Sängerin, nur ihre Silhouette zeichnet sich als zartes Schattenspiel ab. Als der Vorhang fällt, schrauben sich die kreischenden Stimmen in der Olympiahalle in ungeahnte Höhen. Im grellen Gegenlicht erstrahlt Ellie Goulding - Liebling der englischen Pop-Szene. Ende Januar begann die 29-Jährige, bekannt für ihre zarten Töne, getragen von poppigen und elektronischen Beats, ihre weltweite Tour mit ihrem neuen, dritten Album "Delirium" in Hamburg. Schon beim ersten Song "Aftertaste" wirbelt Goulding in knappen Shorts und weitem Mantel über die Bühne, als gäbe es kein Morgen. Gibt es auch nicht. Drei Tage Regeneration bleiben ihr bis zum nächsten Auftritt. Da kann man schon mal übermütig werden. "Heute Nacht werden wir tanzen und unsere Hemmungen verlieren", kündigt sie vor ihrem Stück "Outside" an.

Es war ein langer Weg zum Erfolg, der Goulding die 6500 Besucher in der Olympiahalle beschert. Mit drei Geschwistern wuchs sie im englischen Hereford auf, ihre Mutter arbeitete im Supermarkt, ihr Stiefvater war Lastwagenfahrer. Sie lernte Klarinette, Gitarre und schloss sich der lokalen Operngesellschaft an. Bei einem Talentwettbewerb an der Universität in Canterbury entdeckte sie ein Musikmanager - ihr Erfolg stellte sich erst nach einiger Zeit ein. Bevor sie ihr erstes Album "Lights" 2010 veröffentlichte, erhielt sie innerhalb eines Jahres den Brits Critics' Choice Award bei den Brit Awards und wurde in der BBC-Liste Sound of 2010 als Favoritin für das kommende Jahr genannt. Neben Sängerin Adele ist sie die einzige, der das gelungen ist.

Wenn Ellie Goulding ihre Outfits wechselt, richtet sich die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Background-Sängerinnen, ihre Band und die Videoschnipsel der Britin, die als Installation auf überdimensionalen Bildschirmen flimmern. Durch diese effektvolle Inszenierung tritt Gouldings Stimme zeitweise in den Hintergrund. Pur, leicht schwermütig und sensibel bietet erst der Song "Devotion", begleitet durch ihre hellen Gitarrenakkorde, der Stimme genügend Raum. Mit ihrem erfolgreichsten Stück "Love Me Like You Do", Titelsong der erotischen Filmadaption "Fifty Shades of Grey", beschließt Goulding ihren 90-minütigen Auftritt. Endlich tanzt das Publikum, so wie die Künstlerin sich das vorgestellt hat. Das Ende, ihr Abgang von der Bühne, ist fast abrupt. Einige Zuschauer bleiben unschlüssig stehen, warten noch, bis Bühnenarbeiter in Warnwesten mit dem Abbau beginnen.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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