Kurzkritik:Tücken der Perfektion

Pianistin Yuja Wang und das Rotterdam Philharmonic Orchestra

Von Rita Argauer

Wenn Menschen eine Sache besonders gut können, dann erwächst daraus auch Skepsis. Etwa bei der chinesischen Pianistin Yuja Wang. Die hat ihre technische Fertigkeit am Klavier derart in die Perfektion getrieben, dass da zunächst mehr der Eindruck von artistischer Kunstfertigkeit als von künstlerischem Ausdruck entsteht, wenn sie in der Philharmonie zusammen mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines (noch) Chefdirigenten Yannick Nézet-Séguin durch Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 4 rast.

Sich ständig überschlagende oktavierte Akkorde hämmert sie in die Klaviatur. Nach dem leicht synkopierten, wie trunken wirkenden Einstieg in den Kopfsatz, legt Wang ein Tempo vor, das angesichts der technischen Anforderungen dieses Stücks voll Wahnwitz ist. Gleichzeitig setzen das Orchester und Wang einen lodernden Gegenpol zum Beginn des Konzerts mit Haydns "La Passione"-Sinfonie. Schlank besetzt und eng aufgestellt hat das Orchester hier eine feine und durch subtile dynamische Kontraste sehr bewegende Interpretation vorgelegt. Rachmaninow hingegen gerät zur Tour-de-Force im Forte, in der der Flügel oft akustisch im Orchester versinkt. Dass Wang mehr als eine Presto-Artistin ist, zeigt sich erst im Largo mit jazziger Lässigkeit und feiner Anschlagskultur. Da beeindruckt sie über die Virtuosität hinaus, und auch das Zusammenspiel mit dem Orchester klingt ausgewogener, etwa wenn die ausgezeichnete Hörnergruppe sich in einen reizvollen Kontrast zu Wangs generell eher metallischen Anschlag begibt.

Eine glückselige künstlerische Einheit aber ist das Orchester erst wieder alleine mit Tschaikowskys vierter Symphonie und einem warmen Pathos, das im Tempo immer konstant bleibt. Die Streichergruppe zeigt fabelhaft füllige Pianissimi, die Holzbläser zirpen so präzise wie verspielt im zweiten Satz zwischen das Geigen-Melos. Viel Applaus für ein Orchester und seinen Dirigenten, die hier in tiefem Vertrauen zueinander musizieren.

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