Kurzkritik:Sternstunde

Saxofonist Kenny Garrett in Ottobrunn

Von Oliver Hochkeppel, Ottobrunn

"Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, das reizt mich so an der Musik", erklärte Kenny Garrett den Teilnehmern des Workshops am Tag nach seinem Konzert im Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus. Anders als im März bei der Jazzwoche Burghausen, als der Saxofon-Star fast eine Dreiviertelstunde lang mit gleichförmigem Überdruck-Demonstrationsjazz die Geduld des Publikums strapazierte, hielt er sich hier von der ersten Minute an an sein Bekenntnis zur Vielfalt. Mit seinem Quintett warf er alles ins Feuer, was die Jazzküche hergibt. Entsprechend mundete das Gericht, einige sprachen hinterher vom Besten, was bislang bei den Ottobrunner Konzerten zu erleben war.

Eine Sensation ist schon die Band, die Garrett da mittlerweile zu einer Einheit verschmolzen hat und der er große Freiräume lässt: der wuchtige Akkorde und kuriose Harmonien einstreuende Vernell Brown am Flügel, der unfassbar schnelle, nur am Bogen noch ausbaufähige Bassist Corcoran Holt, der Publikumsliebling Marcus Baylor, der am Schlagzeug all die Vorzüge in Sachen Tempo, Timing, Polyrhythmik und Sound vereint, die sich in den vergangenen Jahren in seinem Fach entwickelt haben; und schließlich der bemerkenswert lässige und geschmeidige Perkussionist Rudy Bird. Mit ihnen zusammen ging Garrett auf eine zitatenreiche und doch ganz eigenwillige, von seinem unvergleichlichen Ton und Einfallsreichtum getragene Reise durch die Jazzgeschichte, von knallharten Bebop- und Hardbop-Reißern über bezwingende Balladen - auch am Sopransaxofon, das bei ihm nie in Gefahr gerät, zu quäken oder zu quietschen - und popnah melodiöse, einmal fast an Pat Metheny erinnernde Stücke bis zu unfassbar mächtigen, seriellen Experimentalgewittern.

War das schon mehr, als man erwarten durfte, so gelang Garrett am Ende etwas zumindest hier noch nicht Dagewesenes: Der komplette Saal erhob sich, um unter seiner Anleitung mitzumachen. Als Saxofonist, Dirigent, Sänger und Beatboxer verwandelte er die immer wieder neu aufgenommene Schlussnummer in eine Mischung aus Gottesdienst, Jam Session und Disco. Und bewies endgültig: Im Jazz ist nichts unmöglich.

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