Kurzkritik:Selbst gecovert

Lydia Lunch und ihre aktuelle Band "Retrovirus" im Unter Deck

Von DIRK WAGNER

Das Bass-Solo, mit dem Tim Dahl die Zugabe von Retrovirus im Unter Deck dank der zwischengeschalteten Effekte mehr "einlärmt" als einläutet, bringt so ziemlich alles auf den Punkt, was die mit ihm befreundeten Jazzgrößen Peter Evans und John Zorn so einzigartig macht. Fast glaubt man, auch Zorns heiser glühendes Saxofon in Dahls Soundspiel zu hören, das laut knistert wie die elektrischen Entladungen einer Hochspannungsleitung. Doch begleitet wird Dahl lediglich vom Sonic-Youth-Drummer Rob Bert, dessen Rhythmus das gesamte Konzert über hypnotisiert wie ein mitreißender Bo Diddley.

Alleine schon das Spannungsfeld zwischen dem stets vorpreschenden Bassisten Dahl und dem geradezu trotzig zurückhaltenden Schlagzeuger Bert hätte den Besuch dieses Konzertes schon gelohnt, das nun im Suicide-Cover "Frankie Teardrop" noch einmal aufkocht. Richtungsweisend schneidet Weasel Walters exzessives Gitarrenspiel in Dahls Klangskulptur, bevor die Grande Dame des Undergrounds, Lydia Lunch, wieder zu singen beginnt. Und prompt wirkt der Suicide-Klassiker, als sei er von Anfang an für Lydia Lunch geschrieben worden. Genau so, wie die New Yorkerin zuvor schon Pere Ubus "Final Solution" zu vereinnahmen wusste.

Witzigerweise covert Lunch mit ihrer Band aber nicht nur die Songs anderer Rockstars wie "Black Juju" von Alice Cooper. Besonders spannend bearbeitet Lunch auch sich selbst, in dem sie eigene Songs wie "Mechanical Flattery" von ihrem 1980er Album "Queen of Siam" neu interpretiert. In diesem Fall ohne das Klavierspiel der ursprünglichen Version, und ohne die erotische Saxofon-Linie gegen Ende des Stücks. Trotzdem fehlt nichts in der mit Gitarre, Bass und Schlagzeug aufbereiteten Fassung. Und obwohl Lydia Lunch, die schon mit Größen wie Rowland S. Howard, Clint Ruin, Thurston Moore oder Nick Cave zusammen gespielt hat, immer ein Garant für die beste Rockshow aller Zeiten war, scheint Retrovirus die beste ihrer zahlreichen Bands zu sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: