Kurzkritik:Sehenswert negativ

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"Atari Teenage Riot" im Backstage

Von Rita Argauer, München

Die Gesten haben Atari Teenage Riot noch drauf: Fäuste, Sprünge und Parolen. Obwohl die neu-formierte Truppe um den gebürtigen Berliner und Wahl-Londoner Alec Empire, die in den Neunzigerjahren das erfand, was man später Elektro-Punk nannte, dem Teenager-Alter genauso entwachsen ist, wie dem Benutzen von Atari-Computern, sind Wut und Aufruhr geblieben.

Atari Teenage Riot erproben im Münchner Backstage eine gute Stunde lang Revolutionsattitüden zu lauten, schnellen Krach-Beats und Noise-Samples. Und obwohl die neueren Stücke ein wenig mehr grooven und sogar ab und an ein paar harmonische Flächen spendieren, ist der Grundduktus seit den Neunzigerjahren gleich geblieben. Der damalige Hit "Revolution Action" fügt sich deshalb auch wunderbar an neue Songs wie "Reset", dem Titeltrack des aktuellen Albums, mit dem sie das Konzert eröffnen. Der Abend bietet dann keinen Spannungsbogen und keine Zugabe (die durchaus gewollt gewesen wäre), sondern knallt unter fast durchgehendem Stroboskop-Licht die politischen Anliegen der Band hinaus; in erster Linie als Warnungen: Atari Teenage Riot treten mit der Hybris auf, etwas erkannt zu haben, was in der Gesellschaft noch nicht erkannt wurde, und sehen es als ihre Pflicht, das möglichst dringlich und laut kundzutun. In dieser Haltung fühlen sie sich bestätigt, was spätestens mit der einzigen Publikumsansage klar wird: Vor "Black Flags" erklärt Alec Empire fast stolz, dass sie diesen Song 2010 geschrieben hätten. Dass darin vor staatlicher Überwachung gewarnt wird, hätte sie damals paranoid erscheinen lassen, bis Edward Snowden kam und sie bestätigte.

Doch diese Haltung macht die Band heute sehenswert. Denn Atari Teenage Riot sind negativ statt affirmativ. Und das ist in der Popmusik, die heute - selbst wenn sie alternativ ist, so gerne gefallen möchte - selten geworden. So bleibt eigentlich nur noch der Wunsch, dass gegenwärtige Künstler diese Haltung mit heutigen Mitteln umsetzen. Bis das passiert, haben Atari Teenage Riot das volle Recht weiter herumzupoltern, auch wenn ihre Soundästhetik mittlerweile etwas altmodisch ist.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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