Kurzkritik:Schwärmerisch

Die Geigerin Noa Wildschut bei den Münchner Symphonikern

Von Harald Eggebrecht

Havarien in der Musik können selbstverständlich zerstörerisch wirken, doch auch in mancher Hinsicht erhellend sein. Der 16-jährigen niederländischen Geigerin Noa Wildschut geschah im Prinzregententheater bei Maurice Ravels modellhafter Zigeuner-Rhapsodie "Tzigane" das Missgeschick, dass plötzlich eine Saite heruntersackte, deren Wirbel hatte sich gelöst. Es musste abgebrochen werden, sie kämpfte darum, die Saite in die richtige Stimmung zu bringen. Zuletzt nahm sie die Violine der Konzertmeisterin der Symphoniker und brachte das virtuose Stück über Stock und Stein glücklich zu Ende.

Erhellend daran war, dass Noa Wildschuts schwärmerisch-hingebungsvoller Ton sofort auch auf der fremden Geige erklang. Merke: Nicht die Geige, sondern die Spielerin macht die Musik. Und wie! Noa Wildschut wird seit einigen Jahren mit Bewunderung in ganz Europa von Kennern und Fans beobachtet, weil sie Musik unmittelbar sprechen lassen kann ohne Theater, Technikausstellung und Manieriertheiten. Also verstand sie Ernest Chaussons "Poème" als groß sich steigerndes Gedicht. Und Ravels "Tzigane" spielte sie mit größter Achtsamkeit auf die Anweisungen des Komponisten, der eben nicht eine rubatoselige rhapsodische Improvisation meinte, sondern ein genau austariertes Stück schrieb als Quintessenz aller Zigeunerrhapsodien. Dieser Raffinesse folgte Noa Wildschut vorbehaltlos, wieder bestach das Sprechende, Direkte ihres Spiels. Dem großen Beifall dankte sie mit einer eleganten Gershwin/Heifetz-Zugabe.

Dass dieser Nachmittag mit französischer Musik - noch George Bizets "L'Arlesienne"-Suite, Ravels "Ma mère l'oye", Albert Roussels "Bacchus et Ariane" - auch sonst unbedingt anregend und farbenreich gelang, lag am sorgfältigen Dirigat von Dante Anzolini, der auf Durchsichtigkeit und Vielschichtigkeit in den Pianoregionen achtete und das Orchester konzentriert durch die Partituren führte. Auch im Fortissimo blieb der Klang gefasst und differenziert.

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