Kurzkritik:Schöner Seelenschaden

Komisch und rasant: "Dr Faust jun." am Gärtnerplatztheater

Von Dirk Wagner

"Wie oft kann man so viel Spaß haben im Theater wie mit diesem Stück?", sagte die australische Sopranistin Alexandra Flood schon vor der Münchner Erstaufführung von "Dr. Faust jun." in der Münchner Reithalle. In einer Kooperation mit der Theaterakademie August Everding und der Hochschule für Musik und Theater München belebt das Staatstheater am Gärtnerplatz dort jene 1869 uraufgeführte Pariser Operette "Le Petit Faust" von Florimond Ronger alias Hervé wieder. Charles Gounods Opernfassung des Faust wird darin ebenso parodiert wie das Theaterstück von Goethe. Wo der mit dem Teufel paktierende Faust bei Goethe das unschuldige Gretchen ins Verderben zieht, ist es bei Hervé allerdings die jetzt in München von Alexandra Flood großartig gespielte Marguerite, die dem Schullehrer Doktor Faust den Verstand raubt. Sie sei "deutsch, blond und keusch" singt Marguerite, als sie dem Lehrer als neue Schülerin vorgestellt wird. Dem französischen Bild einer Deutschen folgend, jodelt sie sodann, worauf Faust ihr endgültig erlegen ist.

Mit irrwitziger Gestik und Mimik gewinnt der Faust-Darsteller David Sitka seiner Rolle in dieser Szene eine groteske Komik ab, wie sie keine noch so gute Comiczeichnung hätte besser ausarbeiten können. Überhaupt erinnert Rudolf Freys Inszenierung des kleinen Faust immer wieder an einen Comic. Das ist nicht zuletzt auch der großartigen Bebilderung von Rainer Sinell geschuldet, der rund 150 Fundus-Kostüme des Gärtnerplatztheaters überarbeitet hat. Sein Bühnenbild greift unter anderem den als aufgerissenes Maul einer Bestie dekorierten Eingang des Pariser Cabaret de l'enfer (Cabaret der Hölle) auf.

Kaum dass Faust seinen Verstand für eine Verjüngung eingetauscht hat, die ihm seiner Hoffnung nach der angehimmelten Marguerite näher bringen soll, spielt das Stück nämlich in jenem sündigen Milieu, in welchem Marguerite nun als Tänzerin den Männern die Köpfe verdreht. Dass Faust trotzdem von ihrer Keuschheit überzeugt sein will, kaschiert auch die eigene Geilheit des Moralisten. Die einzige ehrliche Figur in jener irrwitzig rasanten Revue ist darum Mephisto, brillant in Szene gesetzt von Elaine Ortitz Arandes, die gleich zu Beginn dem Publikum verspricht: "Ohne bleibenden seelischen Schaden kommen Sie nicht davon."

Die konsequente Ausarbeitung jedes einzelnen Charakters der figurenreichen Aufführung, die keine Rolle nur markieren lässt, sondern facettenreich belebt, findet ihr musikalisches Äquivalent im Dirigat von Michael Brandstetter, der dem auf der Bühne in einem musikalischen Pavillon agierenden Orchester des Staatstheaters einen sprudelnden Can Can ebenso abgewinnt wie Wagners Lohengrin, den Hervé pointiert in seine Parodie einfließen lässt. Somit ist der kleine Faust in der Reithalle auch musikalisch ganz großes Theater, das man dort leider nur noch bis zum Samstag, 23. Mai, erleben kann.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: