Kurzkritik:Präzise

Andris Nelsons und das großartige Orchester aus Birmingham

Von Rita Argauer

Leider hat sich ein Vorteil von Abschiedstourneen in der Münchner Philharmonie nicht bestätigt: Eigentlich ist eine derartige Ankündigung ein sicherer Publikumsmagnet, doch das Konzert des City of Birmingham Symphony Orchestra mit Klaus Florian Vogt bleibt überraschend leer. Das ist ausgesprochen schade, denn das andere Letzte-Chance-Klischee erfüllt sich überwältigend: Es ist ein einzigartiges Konzerterlebnis. Zum letzten Mal ist das Orchester mit seinem Chefdirigenten Andris Nelsons unterwegs, bevor dieser zur kommenden Saison nach Boston wechseln wird. Und vielleicht spielen die Musiker deshalb gleichzeitig mit stürmischer Euphorie und einem perfektionistischen Vollendungsanspruch, der dieser sieben Jahre dauernden Zusammenarbeit Respekt zollt. Die Stimmung aus Pathos und Präzision, die dabei entsteht, ist einzigartig. Schon Beethovens Prometheus-Ouvertüre hat eine emotionale und musikalische Plastizität, die beeindruckt und über die Strauss-Lieder zu Dvořáks Siebter dann ebenso spannungsreich durchgehalten wird.

Andris Nelsons Stil verbindet dabei großgestisches, stürmisches Versinken in der Musik mit äußerst präziser Detailarbeit - etwas, das sich auch im Zusammenspiel mit dem Solisten auszahlt: In die "Zueignung" steigt das Orchester füllig wogend ein, öffnet sich aber punktgenau mit dem Gesangseinsatz. Und Vogts schwebende Stimme verfolgt dabei eine spannungsreiche erzählerische Linie, er verzichtet aber auf Kraft durch Dramatisierung. Zusammen mit Nelsons Sinn für filigranes Pathos ergibt das ein selten beeindruckendes Musikerlebnis, das einen weiteren Höhepunkt in der Zugabe erreicht: Lohengrins Arie "In fernem Land" erklingt mystisch, warm, zart und dunkel. Und auch bei Dvořák kann Nelsons Interpretation diesen überraschenden und ziemlich unwiderstehlichen Sog erhalten.

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