Kurzkritik:Pop für alle Zweifelsfälle

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Elena Tonra, eine Sängerin mit erdenferner Stimme.

(Foto: Ralf Dombrowski)

Die Londoner Band "Daughter" im ausverkauften Technikum

Von Ralf Dombrowski

Daughter lieben das Pathos des Fragilen, gepackt in Lieder, die die klare, ein wenig erdenferne Stimme von Elena Tonra mit den halligen Gitarrenflächen Igor Haefelis und dem verhaltenen, theatralischen Trommeln Remi Aguilellas kombiniert. Ältere Semester im ausverkauften Technikum fühlen sich an die Achtziger erinnert, an die ausladenden Soundarchitekturen der Cocteau Twins, ein wenig auch an die zerbrechliche Traurigkeit von Beth Gibbons, die einst den Ernst in technobunte Jahre zurückholte. Und der Gegenwartspop kennt die frühen Coldplay als Vorbild, als die Herren noch Botschaften abseits der Hitparaden pflegten. Auch Tonra hat diese Anmutung des Introvertierten, die ihren Liedern den nötigen Nachdruck verleiht. Sie singt mit Mitte Zwanzig schließlich nicht von den Pickeln der Pubertät oder von Teenagern, die Hormonnöte plagen, sondern sinniert über Demenz und die Einsamkeit des Alters, über die Leere des Sex in verglühten Beziehungen oder die Kraft, die es braucht, in einer immer weiter zerfleddernden Welt sich nicht zu verlieren. Dabei fehlt ihr jedwede Koketterie der Besserwisserin.

Im Gegenteil: Wenn Tonra selbst eine Ansage machen muss, dann hört man die in der Musik so beschwörende Stimme kaum. Verhuscht entschuldigt sie sich für vermeintliche Fehler, schüchtern nimmt sie die Huldigungen der Menschen entgegen, die sich in der Musik wiederfinden. Dabei gibt es so viel noch gar nicht zu präsentieren. Zwei Alben hat die Londoner Band veröffentlicht, eines davon mit Folk-Appeal, das zweite, aktuelle und in Brooklyn produzierte "Not To Disappear" mit der Tendenz zu überladener Hymnik. Aber ihre Musik trifft die Empfindungslage von Menschen, die an der Oberflächlichkeit der Konsumwelt zweifeln. Da passt die Mischung aus großer Geste und Innensicht, aus spürbarer Unsicherheit und ausladender Hymnik. Es ist Musik, bei der es schon beinahe unhöflich wäre, angesichts ihrer molltrunkenen Schönheit mehr als eine Zugabe zu verlangen.

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