Kurzkritik:Musik der Einsamkeit

"Der unverrückbare Himmel": Shackletons Expedition im I-Camp

Von Egbert Tholl

Eis. Kalt, knarrend, splitternd, drohend. Schroff - aber da ist auch ein Flirren, Sirren. Wie klingt Eis? Klingt Eis so, wie sich das die Herren Peter K. Frey, Michel Seigner und Alfred Zimmerlin vorstellen? Die drei bilden zusammen das musikalische Improvisationstrio "Karl ein Karl", wobei der Ausdruck "Improvisationstrio" nur einen sehr vagen Notbehelf darstellt. Denn ihr Zugang zur Musik ist ebenso ein performativer wie ein kompositorischer. Und schließlich sind sie Schweizer.

Im I-Camp war nun "Der unverrückbare Himmel" zu Gast, eine prächtige, sehr eigene Aufführung, bei der auch Ruth Geiersberger mitwirkt, leibhaftig auf der Bühne, und Martin Pfisterer, aber von dem hört man nur die Stimme. Die Stimme spricht das Tagebuch von Frank Hurley, das dieser schrieb, als er Teil der Expedition von Sir Ernest Shackleton war. Dieser versuchte 1914, als auf dem europäischen Kontinent gerade der Erste Weltkrieg ausbrach, die Antarktis zu durchqueren. Shackleton scheiterte - und trug doch einen grandiosen Sieg davon: In einer 635 Tage dauernden Odyssee gelang es ihm, seine im Eis eingeschlossene Mannschaft in die Zivilisation zurückzuführen, ohne einen einzigen Mann zu verlieren.

Basis der Aufführung sind Hurleys Aufzeichnungen, die in nüchternem Ton von schier unfassbaren Strapazen und bizarrsten Lebensbedingungen künden. Daneben sieht man Filme und Fotos, die Hurley auf dieser Reise aufnahm, teils bearbeitet, teils in Überblendungen. Die Musik der Karls hat dabei sicherlich auch etwas Illustratives, aber das ist eher ein akustischer Nebeneffekt des Eises. Denn das Tönen verfolgt in aberwitzigen, live gespielten Verstiegenheiten eine Emotionalisierung der Einsamkeit. Dazu kommen ein vielgestaltiger, vorproduzierter Grundklang und eine Figur, die eben die Einsamkeit in einem anderen Kontext weiterführt.

Es ist die Figur, die Geiersberger verkörpert, die deutsche Schriftstellerin Marie von Bunsen. Zur gleichen Zeit, als Shackleton versuchte, das ewige Eis zu durchqueren, erkundete sie allein in einem Ruderboot, ausgestattet mit einem kleinen Segel, Mecklenburgs Seen. Auch sie kämpft mit der Natur, wenn auch immer in Sichtweite zur Zivilisation. Doch auch sie ist allein und tut etwas, was für eine Frau damals spektakulär ist.

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