Kurzkritik:Mit Wucht

Das "Orchestre National du Jazz" in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel

Die Zeiten, als sich auch deutsche und französische Musik sozusagen in Erbfeindschaft gegenüberstanden, sind zum Glück lange vorbei. Heute reicht die Freundschaft so weit, dass zum Beispiel das Orchestre National du Jazz - immerhin eine vom legendären Kulturminister Jack Lang installierte staatliche Institution - zum 25. Jahrestag des Mauerfalls einen extensiven Berlin-Aufenthalt einplant, aus dem dann das Jubiläumsprogramm "Europa Berlin" zum 30-jährigen Bestehen des Orchesters hervorgeht.

Nun präsentierte die elfköpfige Auswahltruppe des federführenden Gitarristen Olivier Benoit - die turnusmäßig wechselnden Leiter vergeben die begehrten Ensembleplätze nach ihrem Gusto, was den Einsatz und die Harmonie mit erklärt - diese Konzeptkunst auch in der Münchner Unterfahrt. Als erstes fällt einem da die Gleichberechtigung aller Musiker auf. Benoit spielt nicht den großen Zampano, er steht nicht einmal vor oder in der Mitte des Ensembles, sondern rechts außen, und die Einsätze gibt er ebenso wie drei, vier andere Musiker aus dem Ensemble. Alle bekommen mindestens ein herausragendes Solo - alle bis auf Benoit.

Das Ergebnis ist ein faszinierend oszillierendes Klanggebilde, das äußerst modern aktuellen Jazz ebenso umarmt wie Moderne Musik und Minimal Music. Bemerkenswert ist der Umgang mit der Time - war Olivier Benoit doch besonders von seinem Empfinden nach außergewöhnlichen Zeitgefühl der Berliner, ihrem eigenen Großstadt-Rhythmus beeindruckt. So legen sich äußerst beeindruckend zum Beispiel gleiche Takte in verschiedenen Tempi übereinander, entstehen aus den kleinsten Einheiten der einzelnen Stimmen ein großes Ganzes. Ebenso bezwingend ist die Ausdruckskraft, die dann doch wieder mehr Paris als Berlin ist: Diese Liebe zum leicht Spleenigen, die noch mit Finesse und Klarheit inszenierte Wucht, dieses Faible für Bombast und schwülstige Dramatik - das traut sich keine deutsche Bigband. Chapeau!

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