Kurzkritik: Klassik:Unfassbar

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"Die Frau ohne Schatten" bei den Opernfestspielen

Von Egbert Tholl, München

Selbst wenn es nur dieses Ende des zweiten Aktes gäbe, selbst wenn Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper nichts anderes dirigiert hätte als eben dieses Finale, man würde in vielen Jahren auf seine Zeit als Generalmusikdirektor der Staatsoper zurückblicken und konstatieren, dass man keine Ahnung hat, wie so etwas möglich ist. Wie man extreme Leidenschaft, ja rasenden Furor mit brachialem Untergang kombinieren und dabei noch die absolute Kontrolle über das musikalische Geschehen behalten kann. Natürlich spielt das Staatsorchester diesen ganzen langen Abend lang hervorragend, verspielt und präzise, extrem klangschön und voller Wunden, Sehnsüchte, Glück und Verzweiflung. Aber dann kommt eben diese Explosion, unfassbar.

Fast gewagt ist es von der Staatsoper, Krzysztof Warlikowskis dreieinhalb Jahre alte Inszenierung von Strauss' "Die Frau ohne Schatten" im direkten Umfeld der Festspielpremiere von Schrekers "Gezeichneten" zu platzieren. Der grundsätzliche Ansatz - ein Bilderrätsel aus den Tiefen der Psychologie gewonnen - ist ähnlich, auch die Musik ist nicht so weit voneinander entfernt. Das ist ja das Ungerechte: Strauss kennt jeder, Schreker niemand, obwohl dessen Musik keineswegs furchterregender, sondern viel aufregender ist. So ist die unmittelbare Gegenüberstellung der praktisch zeitgleich entstandenen Werke auch eine Verschärfung einer hoffentlich glücklichen Renaissance Schrekers.

Zurück zum "Frosch", wie Strauss' Oper im Fachjargon gern genannt wird. Der Abend ist ein Triumph der Damen Michaele Schuster als schnippische Amme, Ricarda Merbeth als Kaiserin und Elena Pankratova als ebenso erotisch aufgewühlte wie nachdenkliche zermürbte Färberin - ein Trio der dramatischen Exzellenz. Daneben rührt ein menschlich wahrer und stimmlich vielschichtiger Wolfgang Koch als Färber. Das führt zu großen Jubel, auch für Warlikowski, der sich zum Schlussapplaus verbeugt. Doch die Verehrung für Petrenko überwölbt alles.

© SZ vom 04.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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