Kurzkritik:Klangmasse

Uraufführung bei den Philharmonikern

Von Egbert Tholl

Praktisch: Zwar wurde Vladimir Tarnopolski mit seinem Kompositionsauftrag, den ihm die Münchner Philharmoniker erteilt hatten, nicht fertig. Aber glücklicherweise hatte er noch ein anderes Stück, das seiner Uraufführung harrte, "Blue Shift". Also gibt es dieses zu hören, und es ist nicht so, dass man darüber gram sein müsste.

Tarnopolski begreift das Orchester als reinen Klangapparat, strukturell neigt er nicht unbedingt zu intellektuellen Überforderungen. Aber seine Musik wirkt, und am Ende spendet das Publikum auch dankbar Applaus. Denn selbst wenn man das Programmheft nicht liest, in welchem die Herleitung des Titels von einem kosmischen Licht erzählt wird, das entsteht, wenn sich Galaxien annähern, hört man genau dies: kaltblaue Lautmalerei. Nordlicht. Wenn man das Programmheft vorher gelesen hat, entkommt man der Assoziation eh nicht mehr. Tatsächlich fühlt sich das dann über weite Strecken so an, als spiele in der Philharmonie 15 Minuten lang ein riesiger Organismus aus der Frühzeit der Synthesizer. Die Münchner Philharmoniker gehen unter Valery Gergiev durchaus emphatisch ans Werk, schaffen eine wogende Klangmasse, für die man im Kern keine Packungsbeilage braucht. Mal ein paar perkussive Akzente, viel repetitive Formen, ein prägnanter Moment eines genau bemessenen Tohuwabohus - das Stück ist ein interessantes Erlebnis.

Was für das, was folgt, nur bedingt gilt. Aus Berlioz' Chor & Orchesterwerk "Roméo et Juliette" rein die Instrumentalpassagen herauszunehmen, ist Unsinn. Die zerbröseln ohne Zusammenhang. Es bleiben wenige Einzelmomente voller raffinierter, nie gehörter Ideen. Aber selbst die Musiker sind verblüfft, als das Stück auf einmal aus ist - mit einem Ende hat offenbar keiner mehr gerechnet. Nach der Pause dieser doch recht ausgedehnten Veranstaltung gibt es noch eine erdige Siebte von Beethoven, dumpf bollernd, aber mit einer konsequent durchgezogenen, antiheroischen Haltung.

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