Kurzkritik:Kaum Tiefe

Die kapverdische Sängerin Carmen Souza in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski

Die Musiker taten sich schwer, auf der Bühne der Unterfahrt anzukommen. Woran genau es lag, war nicht nachzuvollziehen, aber die Sängerin Carmen Souza und ihre drei Mitstreiter wirkten, als würden sie die eigentlichen Reserven der künstlerischen Energie nicht angreifen. Das heißt nicht, dass wenig gespielt wurde. Der Bassist Theo Pascal beispielsweise war vor allem am elektrischen Instrument kaum zu bremsen. Stellenweise steigerte er sich in ausgedehnte Passagen, die mit viel Tonmaterial und präziser Umsetzung dokumentierten, dass er zu den führenden Bassisten Portugals gehört. Der Tenorsaxofonist Nathaniel Facey hingegen wollte mehr gebeten werden. Streng diszipliniert wirkte er zugleich distanziert, in sich gekehrt und nicht ganz bei der Sache, selbst wenn er solistisch große Bögen gestaltete.

Der Schlagzeuger Shane Forbes war da noch der Ausgelassenste. Einerseits trocken im Sound und bei Bedarf reduktionistisch in der Spielweise, konnte er auf der anderen Seite auf ein umfassendes Spektrum rhythmischer Variationen zurückgreifen. Afro-Beat traf auf Brasilien, Funk auf eine Prise Jazz, einfallsreich akzentuiert und mit Humor in das Gefüge eingebaut. Forbes sorgte auf diese Weise dafür, dass die Musik insgesamt nicht ins Zickige abrutschte, auch wenn die Tendenz dazu in ihr angelegt war. Denn Carmen Souza liebt den exaltierten Gesang. Mal ist sie Diseuse, die zu theatralisch überspitzter Aussprache neigt, mal mimt sie das Mädchen, die Mutti, die Varieté-Darstellerin, die aus den Worten noch mehr als den eigentlichen Sinn herauspresst.

Vielleicht lag es auch an diesen dezenten Widersprüchen des Konzepts, dass die Musiker zwar ausgezeichnet spielten, dabei aber nicht in die Tiefe drangen. Trotz klangethnischer Opulenz, die Elemente der kapverdischen, afrikanischen und portugiesischen Tradition ebenso integrierte wie Stücke von Horace Silver oder Charlie Parker, fehlte dem Konzert das Zentrum, das über das Pittoreske hinausreichte. Denn Carmen Souza hat mit ihrer eigenwilligen Vokalpraxis den Newcomer-Bonus der Überraschung hinter sich gelassen und ist nun auf der Suche nach einer Tonsprache, die auf lange Sicht ihre potenzielle stilistische Autarkie unterstreicht. Wahrscheinlich war es diese Unsicherheit des Unfertigen, die die Künstler davon abhielt, sich auf der Bühne vollends in die Musik fallen zu lassen.

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