Kurzkritik:Jeder für alle

Das Maria Schneider Orchestra in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel

Einige hatten es vorher vermutet, fast alle sprachen hinterher vom Konzert des Jahres. Erstmals war Maria Schneider mit ihrem Orchestra in München zu sehen, und dann aufgrund günstiger Fügungen auch noch in der Unterfahrt. Hautnah konnte man also erleben, was das Bigband-Konzept in den Neunzigern revolutioniert hat, ohne mit der Tradition zu brechen, sondern auf den Vorgängern von Ellington über Thad Jones und Mel Lewis bis zu Gil Evans - dessen Assistentin Schneider lange war - aufbauend. Und das auch noch quasi im Zeitraffer, begann Schneider doch mit "Green Piece" vom allerersten Album. Schon da war ihr sinfonischer Ansatz zu erkennen, die unvergleichliche Verzahnung der Soli mit Orchesterbegleitung, der multistilistische Zugang zu Themen, wenn man will sogar die weiblich-lyrische Umdeutung der harten Bigband-Power.

Von Anfang an schrieb Schneider Programm-Musik, ließ sich für ihre Kompositionen von Literatur, Lyrik, Kunst oder gar Ornithologie inspirieren. Auf ihrem neuen, dank einem "Artist Share"-Fundraising opulent ausgestatteten Album "The Thompson Fields", dem Rückgrat des Unterfahrt-Repertoires, kommt dies alles wieder magisch zusammen. Die Erinnerung an die Kindheit in der Prärie von Minnesota, Natureindrücke und die Gedichte von Ted Kooser haben ihr Melodien von strahlender Schönheit eingegeben, die sie hochemotional, geradezu filmisch direkt und doch kompositorisch äußerst komplex ihrer Band anvertraut. Niemand sonst schneidet seine Kompositionen wohl so gezielt auf die einzelnen der 18 Stimmen und Individuen zu. Allerdings hat auch niemand sonst ein derartiges Star-Ensemble zur Verfügung, in dem wie in einer guten Sportmannschaft jeder bedingungslos für den anderen spielt, und bei dem auch nicht ein einziges banales Füller-Solo zu hören war.

Mag sein, dass Schneider konzeptionell nicht mehr die Speerspitze der Entwicklung darstellt. Viel hat sich in den letzten Jahren getan, völlig neue Orchestrierungen und Soundstrukturen wurden ausgebrütet. Nach wie vor aber gibt es keine Bigband, bei der sich die Gegensätze zwischen solistischem Glanz und orchestraler Wucht, zwischen klassischer Form und avantgardistischer Freiheit so harmonisch auflösen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: