Kurzkritik:In der Ferne

Gustavo Gimeno bei den Münchner Philharmonikern

Von Egbert Tholl

Der Klassikbetrieb unterliegt schon elaborierten Standards. Einer davon lässt sich hier exemplarisch erleben, in der Struktur des Programms: Kleines Stück, quasi als Ouvertüre, dann Solistenkonzert, nach der Pause große Symphonie. Immerhin: Die "Ouvertüre" ist ein bisschen ungewöhnlich, weil erst vier Jahre alt und fünf Minuten kurz: "Hidd'n Blue" von Francisco Coll, im Kern ein zweimaliges Crescendo mit allen Mitteln, in Dynamik, den Farben und der Instrumentation. Durchaus ein bisschen närrisch ist das Stücklein, und der junge, spanische Dirigent Gustavo Gimeno führt es mit solcher Lust an luzider Drastik des Klangs vor, dass man eine Vorfreude gewinnt auf das Kommende, zwei gut abgehangene Repertoire-Klassiker, Schumanns Cellokonzert und Beethovens sechste Symphonie, die "Pastorale".

Tatsächlich beginnt dann Schumanns Konzert mit einem gewissen Geheimnis, die Münchner Philharmoniker weichen im Klang weit zurück, und Solist Julian Steckel beginnt den ersten Monolog des Cellos nicht melancholisch, sondern traurig, gar ein bisschen verzweifelt, zerrissen. Ein toller Moment, flüchtig leider. Denn nie kehrt Steckel zu dieser geistigen Präsenz zurück; er leistet hochvirtuos eine Art Musikvollzug, ohne große Ideen. Die Wiederholungen im dritten Satz etwa finden einfach statt, er macht sich dazu keinerlei Gedanken. Tags darauf erfährt man per Zufall die mögliche Erklärung: Steckel laborierte an einer Grippe, hatte Medikamente genommen. Warum er jedoch dann noch eine Zugabe spielt, das Präludium aus Bachs dritter Suite, das weiß niemand; und seine Darbietung erklärt es am wenigsten.

Währenddessen kämpft Gimeno mit der Zurückhaltung des Solisten und der Akustik der Philharmonie. Mit der kommt er gar nicht zurecht, sie will und will nicht zu seiner feingeistigen Musikauffassung passen. So bleibt alles sehr vage, distanziert, sicherlich schön, aber in erlesene Ferne entrückt, bis auf ein paar sensationelle Bläserstellen. Erst im Aufklaren nach dem Gewitter in der "Pastorale" greift sein Ansatz - und die nun gelungene Mischung des Klangs überzeugt.

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