Kurzkritik:Immer wieder anders

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"MKO Songbook" im Schwere Reiter

Von Klaus Kalchschmid, München

Unter dem Titel "MKO Songbook" versammeln sich im Schwere Reiter meist Stücke, die für die Stammbesetzung des Münchener Kammerorchesters (MKO) als Auftragswerke komponiert - und oft mehrfach andernorts nachgespielt wurden. Beim vierten Konzert der Reihe (ein fünftes findet am 30. Mai statt) folgte auf Iannis Xenakis' kurzes Stück "Voiles - Schleier" (1995), bei dem 20 Streicher in großem Bogen sitzen, die 2016 revidierte Fassung von Mark Andres "kar" (2008/09) und als Hauptwerk das 35-minütige "Cruel Sister" ebenfalls für Streichorchester, komponiert 2004 von Julia Wolfe.

Nur Jörg Widmanns "Jagdquartett" fiel schon in der solistischen Besetzung, aber auch in seiner so deutlich mit einer Reihe von Zitaten auskomponierten Programmatik aus dem Rahmen. Es wurde von Yuki Kasai, Rüdiger Lotter, Xandi Van Dijk und Mikayel Hakhnazaryan herrlich prägnant und lustvoll gespielt - bis hin zur symbolischen Erlegung des verzweifelt schreienden Cellisten durch die übrigen Streicher.

Anders Marc Andres "Kar" unmittelbar zuvor: Diese ebenso leise wie wunderbar dichte, oftmals die Grenzen zum Geräusch überschreitende Reflexion über Verletzlichkeit und das Atmen in vielerlei Gestalt spielt im Titel auf das mittelalterliche Wort für Klage und Trauer an, wie wir es noch aus dem Karfreitag kennen.

Auch "Cruel Sisters" erzählt eine grausame, tragische Geschichte: Wie eine Schwester die andere aus Rivalität um einen jungen Mann ins Meer stürzt. Bei ihrer Hochzeit wird sie von den Klängen einer Harfe, die aus dem Brustbein der Toten geschnitzt wurde, zu Tränen gerührt. Fast eine halbe Stunde lang baut sich über einem Ostinato Spannung auf; schließlich verfallen immer mehr Streichergruppen ins Pizzicato (die Imagination einer Harfe), bis am Ende eine Sologeige in langen Tönen stoisch zu trauern beginnt. Baldur Brönnimann am Pult vermochte auch hier mit dem exzellenten MKO in jeder Sekunde eine immer wieder anders geartete Intensität herzustellen.

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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