Kurzkritik:Im Innenraum des Klangs

Die Dresdner Philharmonie, am Flügel Nobu Tsujii

Von MICHAEL STALLKNECHT

Sergej Rachmaninows Drittes Klavierkonzert, eines der bekanntesten überhaupt, kombiniert mit Antonín Dvořáks meistgespielter Symphonie, der "Aus der Neuen Welt", eingeleitet von der "Karneval-Ouvertüre" desselben Komponisten? Das klang nach einem eher durchschnittlich spannenden Abend im Gasteig.

Doch hatte man da die Rechnung ohne die Dresdner Philharmonie und deren Chefdirigenten Michael Sanderling gemacht. Das Orchester der Landeshauptstadt Dresden - nicht zu verwechseln mit der dortigen Staatskapelle - musizierte Dvořáks Neunte aus der romantischen Klangtradition heraus, die sich in einigen ostdeutschen Orchestern eher zu erhalten scheint als in westlichen. Die Violinen spielen mit sanftem Schimmer, während die Bässe ein warmes Fundament liefern. Das schafft einen großen Binnenraum, in dem alle Stimmen deutlich hörbar, aber gleichzeitig aufeinander bezogen bleiben. Das Forte klingt stolz, aber geschmeidig, während im Piano ein samtweiches Gewebe von innen leuchtet. Daraus entsteht dann ein Dvořák, der in wirklich verblüffendem Maß nach Mendelssohn klingt. Die Neunte wirkte wie erfüllt von einem inneren Flirren, im langsamen Satz auch einer Sehnsucht ins Unerreichbare. Zudem strukturierte Michael Sanderling den Klang immer wieder mit raffinierten dynamischen Details, die schon bei der einleitenden Ouvertüre alles Lärmende konsequent untergruben. In den Tempi bleibt er überraschend flexibel, was durch makellos organisierte Übergänge gelingt. Das ist dann tatsächlich eine Neue Welt, wie sie Dvořák erschienen sein mag: keine folkloristische Zitatesammlung aus einem konkreten Amerika, sondern die überzeitliche Utopie eines flirrenden Klangreichs.

Ganz aus dem Innenraum des Klangs heraus zu musizieren: So ließe sich wohl auch das Besondere an dem Japaner Nobu Tsujii umschreiben. Der blinde Pianist ist in München wohlbekannt, nachdem er bereits im November mit den Philharmonikern unter Valery Gergiev aufgetreten ist. Bei Rachmaninows Drittem erstaunt dennoch die technische Sicherheit, mit der er den horrend schwierigen Part bewältigt - mehr aber noch die poetische Sensibilität, die er leisen Stellen mit seinem zarten Anschlag verleiht.

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