Kurzkritik:Im Hall des Krieges

Das Maxim Gorki Theater bei "Radikal jung"

Von Egbert Tholl

Am 13. Mai 2012 ist jemand gestorben. Am 18. April 2018 auch. Den ersten Tod sieht man nicht, nur das Datum, ein Zettel auf einem Tuchbündel in einer Nische. Mit Tüchern bedeckt man die Leichen, damit die nicht offen auf der Straße herumliegen. Der zweite Tod sitzt neben einem. Es ist nicht die Schauspielerin Maryam Abu Khaled, aber eine Puppe, die der wunderschönen Frau sehr ähnlich sieht. Über ihr klebt Lea Draeger das Datum des Tages der gerade stattfindenden Aufführung an die Wand. Jeden Tag Tod.

Ayham Majid Agha lernte in Damaskus Theater, lehrte es auch und fuhr mit seiner Theatertruppe über die Dörfer. Dann musste er vor dem Krieg fliehen und landete schließlich in Berlin, am Maxim Gorki Theater, für dessen "Exil Ensemble" er als Oberspielleiter arbeitet. Ein hochprofessionelles Ensemble von Menschen, die dort, wo sie herkommen, nicht mehr als Künstler arbeiten können. Warum zeigt auch die Arbeit, mit der Agha zu "Radikal jung" eingeladen wurde: Das "Skelett eines Elefanten in der Wüste" ist das Gerippe einer zerbombten, zerstörten Stadt, in der die Scharfschützen hausen, die sich fühlen wie kleine, lächerliche, tödliche Götter, die mal abdrücken und mal nicht, die Welt durchs Zielfernrohr wahrnehmen.

Ein Video zeigt das Skelett in der Wüste, die tote Stadt, dazu hört man das Zwitschern eines einzelnen Vogels. Hier gibt es keinen Vogel mehr, ist das also eine Erinnerung, eine Idee, orientalische Fabulierungskunst? Das Publikum sitzt in einem engen, schwarzen Kasten, den es zuvor in noch engeren Gängen umrundet hat. Von oben sprechen die Schauspieler Geschichten aus dem Krieg, spricht der Scharfschütze. Eine harte Schießerei flackert im Video auf, eine Wand des Kastens bricht weg, wie eine Erscheinung taucht Khaled als Bauchtänzerin auf. Die Menschen leben in Tunneln, draußen lauert der Tod.

Natürlich kann Aghas Arbeit den Krieg nicht wirklich physisch erfahrbar machen. Das irritiert im Moment. Aber sie wirkt sehr lange nach.

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