Kurzkritik:Früchte Asiens

Die Münchner Philharmoniker mit Gergiev

Von Klaus P. Richter

Mitten in den schwelgerisch-blühenden E-Dur-Klangarabesken von Wagners Siegfried-Idyll fragte man sich plötzlich, ob der große "Ring"-Übervater etwa traurig war über die Geburt seines "Fidi", den Sohn Siegfried, dem diese private sinfonische Hymne gewidmet ist. Denn Valery Gergiev nuancierte und differenzierte das Stück fast analytisch zu seinen Mikrostrukturen: mehr grüblerische Orchesterstudie als heiterer Freudengesang.

Die Münchner Philharmoniker folgten ihm dabei mit allen Finessen subtilster Klangkultur von den fast unhörbaren Pianissimi bis zum kultivierten Forte. Als sie dann, in einer Auslese von 23 Solostreichern die "Metamorphosen" des zweiten großen "Richard" musizierten, ahnte man, dass Gergiev das Programm in der Gasteig Philharmonie quasi als spätromantisches Vorspiel zur letzten Sinfonie von Schostakowitsch verstand.

Im suggestiven Klagegesang von Richard Strauss verwandelte sich die verschlungen-gewebte Kammermusik seiner "Metamorphosen" dann zu einem persönlichen Schlussgesang, unterirdisch in dunklen Farben glühend, fahl noch im hitzigen Agitato, beklemmend im schwarzen C-Moll-Ende - aber meisterhaft mit organischem Atmen gesteuert von Gergiev: schönste Frucht intensiver Zusammenarbeit und bester Strauss-Kompetenz aus der letzten Asien-Tournee.

Womöglich noch eindrucksvoller zeigte sich die neue Hochform des Orchesters in der 15. Sinfonie von Schostakowitsch. Auch sie ist eine Art Schlussgesang - nicht nur im Œuvre von Schostakowitsch, sondern als Endspiel des "Zweiten Zeitalters der Sinfonie" (Carl Dahlhaus), das schon bei Mahler anzubrechen scheint. Aber was von den mächtig aufgekratzten Rossini-Zitaten, den hintergründigen Wagner-Assoziationen, den grandiosen Blechbläser-Chorälen und vielen bizarren solistischen Episoden bis zum höhnischen Xylophon-Gelächter, süffisanten Schlagwerk-Einwürfen und dem finalen "Morendo" oft als destruktive Dissoziation von "Sinfonie" beschrieben wird, als ihre gespenstische Skelettierung, wurde unter Gergievs magischen Händen zu einem spannungsgeladenen, überaus eindrucksvollen Reiseerlebnis durch unerhörte Klanglandschaften.

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