Kurzkritik:Fernes Idyll

Die Philharmoniker unter Semyon Bychkov mit Mahler

Von Rita Argauer

Gustav Mahlers sechste Symphonie ist ein 90-minütiges Monstrum, das keine weitere Musik um sich herum duldet. Doch dieser Fokus, den die Münchner Philharmoniker seit Beginn der neuen Saison bekommen, ist schön. Hier wird klar gemacht: Es geht um das Orchester, nicht um Solisten oder große Namen. Und nun gibt es also nach Valery Gergievs Auftakt mit Mahlers Auferstehungssymphonie Semyon Bychkov mit Mahlers Sechster, der "Tragischen".

Doch Tragik ist bei Mahler nicht so wie etwa bei Tschaikowski. Die Wege, wohin die Tragik führt, welche Ahnung sie in sich trägt oder ob sie gar erlöst wird, sind bei Mahler schwer zu erkennen und verschlungen. Bei Mahler finden all die Stimmungen, die sich im Spektrum der Tragik und deren Gegenpolen befinden, gleichzeitig statt. Übereinander getürmt und zur Groteske gegeneinander geschnitten, präsentiert sich ein kaleidoskopisches Bild, dessen einzelne Versatzstücke nur zu bekannt sind, deren Sinn sich aber in dieser Gegenüberstellung verdreht und verschraubt.

Die Interpretation dessen ist nicht einfach. Doch Bychkov präsentiert gerade in den ersten beiden Sätzen einen überzeugenden Weg. Das düster marschierende Eröffnungsthema des Kopfsatzes lässt er prägnant und im besten Sinne "markig", wie von Mahler gefordert, erklingen. Dazwischen dürfen die Streicher mit ausladender Geste von einem fernen Idyll erzählen, bevor die Perkussion kühl und bestimmt zurück in den Marsch ruft. Bychkov ist dabei im Tempo des Marsch-Motivs zügig und in den Rückgriffen darauf wunderbar konsistent. Auch schafft er es, diese gleichbleibend schwelende Bedrohung mit dem Tempo in den zweiten Satz zu ziehen, als wäre der Fortlauf dieser Düsterkeit unweigerlich.

Doch nach dem anfänglichen Idyll des dritten Satzes mag das eklektische Finale nicht recht erklingen. Plötzlich wirken die Motiv-Schichtungen Mahlers angestrengt, so als würden die Musiker versuchen, der übergeschnappten Musik hinterherzuhetzen, um möglichst all den verschiedenen Stimmungen gleichzeitig gerecht zu werden. Die berühmten Hammerschläge sitzen präzis, fahren durch das Klanggeflecht und bündeln ähnlich den krallenden Harfenakkorden die Aufmerksamkeit. Bychkovs Gleichberechtigung der verschiedenen Stimmungsbilder, die im ersten und zweiten Satz noch einleuchtete, vereitelt im Finale den Zug. Ein bisschen mehr Risiko hätte das Stück mit seinen ständigen Kehrtwendungen überraschender wirken lassen - und so die Zerrissenheit der Komposition nicht nur verständlich, sondern auch erfahrbar gemacht.

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