Kurzkritik:Extravaganter Klangkosmos

Die Sängerin und Pianistin Johanna Borchert in der Milla

Von Oliver Hochkeppel

Dritter Advent, nasskaltes Wetter, die Jahresendzeit-Kulturrallye, eine Tarantino-Erstausstrahlung im Free-TV - da kam einiges zusammen. Für einen Konzertbesuch in der Milla musste man sich also erst überwinden. Zumal die Pianistin und Sängerin Johanna Borchert, die mit ihrem Quartett zu Gast war, wegen einer Babypause länger nicht präsent war. Trotzdem ist es natürlich bitter, wenn eine Gewinnerin des Neuen Deutschen Jazzpreises, die noch 2015 völlig verdient als "beste Sängerin" des Jahres mit dem Echo Jazz dekoriert wurde, ihren Auftritt vor 21 Zuschauern (einschließlich des Kritikers) beginnen muss. Bitter nicht zuletzt für die, die das Konzert verpassten.

Denn nach wie vor gehört die in Berlin lebende Johanna Borchert zu den interessantesten Erscheinungen des aktuellen Musikbetriebes. Obwohl sie Noten seit jeher geschickt ignoriert und gerne improvisiert, hat ihre Musik insbesondere vom hier vorgestellten neuen Album "Love Or Emptiness" kaum mehr etwas mit Jazz zu tun. Man muss schon fast eine eigenes Genre dafür erfinden. So fühlte man sich beim minimalistisch wabernden Synthie-Einstieg an Tangerine Dream erinnert; sobald ihre helle, gerne dramatisch kippende Stimme erklang, dann an Laurie Anderson - was der sphärisch-dräuende Grundton, der Mut, mit Pausen und radikal reduziertem Tempo dramatische Spannung zu erzeugen, sowie die literarisch-lyrischen Texte noch verstärkten. Ihre Band mit Moritz Baumgartner am Schlagzeug, Jonas Westergaard an Bass und Elektronik sowie Peter Meyer an der Gitarre begleitet diesen extravaganten Klangkosmos inzwischen souverän: mal dezent, mal bombastisch, mal mit harten Hip-Hop-Beat-Attacken.

In jedem Fall lässt diese so ausgefeilt inszenierte und doch so direkt berührende Musik niemanden kalt, der sich auf sie einlässt. Johanna Borchert will zum Glück wieder richtig angreifen und bereits im kommenden Jahr das nächste Album nachschieben. Bei deren Präsentation ist der Besuch dann Pflicht.

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