Kurzkritik:Der Welt entrückt

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Mahlers romantisches Leid im Spiegelsaal von Herrenchiemsee

Von Rita Argauer, Herrenchiemsee

Eigentlich kann man einen Konzertabend nicht runder gestalten: Das Motto der diesjährigen Festspiele auf Herrenchiemsee lautet "Nachtmusik", mit dem Zusatz "Der Welt entrückt". Und wenn man dann mit dem Schiff Richtung Insel tuckert, um dort den, per Selbstaussage der "Welt abhanden gekommenen" Komponisten Gustav Mahler zu hören, scheint die romantische Lust nach Transzendenz in Gänze nachvollzogen.

Mahlers Siebte steht auf dem Programm, gespielt vom Orchester der Klang Verwaltung unter Leitung von Roberto Abbado (des Neffen von Claudio Abbado) im Spiegelsaal des Schlosses. Nicht erst im Konzert stellt sich die Frage, ob Mahlers Musik die Richtige ist, um heutzutage dem Wunsch Ludwigs II. nach weltentfremdeter Selbstauflösung nachzukommen. Denn diese Musik braucht die Realität als Gegenstück für die Entrückung. Mahler erzählt nicht von einer hermetisch-verwunschenen Welt, die einen umschlingt, wie das etwa Wagner tut. In Mahlers Musik - und das wird in der teils etwas wüsten Interpretation, die sich durch den verengten Klang des schmalen, aber langen Saals verstärkt, noch bewusster - steht die Gegenwelt immer im Kontrast zum Leid und zur Derbheit des diesseitigen Lebens.

Und dies zeigt sich im scheppernden und zum Teil bullig-lauten Klang des Schloss-Konzertes par excellence. Die Bässe und das ausladende Schlagwerk klingen hier um ein vielfaches lauter als im normalen Konzertsaal. Und im ersten Satz wirkt Abbado davon überfordert: Die Bassfrequenzen wirken nicht subtil-aufrührend, sondern zerhacken all die Geigeneleganz. Die wiederum kippt im Forte ins Schrille und in Krach. Das muss man mögen. Über die Zeit hinweg aber gewinnt Abbado die Kontrolle darüber und weiß die ungewöhnlichen Effekte des Saals zu nutzen: Die Verdammnis-Bässe, deren Einsatz jegliche Hoffnungsschimmer sofort zu Nichte machen oder das ständige Zerscheppern. Und dann wird klar: Nicht vieles kann die romantische Weltentrückung heutzutage besser abbilden, als Mahlers dekonstruktive Symphonik-Monster.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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