Kurzkritik:Das Pingpong-Problem

Klug und böse: Das Performance-Konzert "Exodus" im Schwere Reiter

Von Sabine Leucht

Sind die gewieft! Stehen auf der Bühne als könnten sie kein Wässerchen trüben, mit Bänkelsängerkleidern aus Jeans-Streifen und frommem Lächeln. Dabei haben Cecilie Ullerup Schmidt und Andreas Liebmann eine Geschichte voller Widerhaken dabei, formal streng gehalten. Wenn sie - die hellblonden Haare zu Schneckchen gedreht - sich Kapitel für Kapitel durch ein ganz besonderes Märchen singt, bearbeitet er das Cello. Wenn er als Ausrufer auf sein Bänkchen steigt, kauert sie neben ihm und schaut. Wir schauen auch, denn das im Dezember beim Nordwind-Festival uraufgeführte Performance-Konzert "Exodus" war auf Einladung des Pathos im Schwere Reiter zu sehen. Vor allem aber spüren wir, wie ein Ohrwurm sich festbeißt, weil der auf den musikalischen Grundstock einer Mittelalter-Ballade aufgesattelte Text über ein Berliner Paar und seine blauäugige Tochter Vers für Vers in eine herzige Mitsing-Zeile mündet: "The tale of the new Europeans".

Die drei machen sich auf Sizilien zwischen Airbnb-Ferienhaus, Zitrusplantagen und vollverpflegten Tourist-Ressorts auf die Suche nach Migranten. Die neun Nigerianer, die sie schließlich finden, warten in der Einöde ihrem Schicksal entgegen und spielen Pingpong wie Andreas in seiner Jugend. Und das Match, das er sich mit einem von ihnen liefert und gestikulierend nacherzählt - immer mehr ausbrechend aus der Form, mit überschnappender Stimme ins Denglisch fallend, hin- und hergerissen zwischen triumphalem Fäusterecken und dem Gefühl, seinem Gegner ein positives Erlebnis bescheren zu müssen - ist nur der Höhepunkt einer Reihe von Clashs von gutem Willen und Unbeholfenheit, wie man sie auch in der Kunst oft findet: Statt praktischer Hilfe bieten die unproblematisch aus Dänemark und der Schweiz nach Deutschland ausgewanderten Performer ihren leidgeprüften neuen Bekannten den Austausch von Liedern an und entlarven schon beim Verhandeln ihrer Erzählökonomie den stillschweigenden Konsens der guten Europäer: "Jeder ist es wert, doch es reicht nicht für alle". So klug und so böse!

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