Kurzkritik:Das große Frickeln

Mount Kimbie

Digital ist nicht alles: Die Londoner Kai Campos und Dominic Maker (v. l.) setzen mittlerweile auf fast klassische Popentwürfe.

(Foto: Muffatwerk)

Die Band "Mount Kimbie" in der Muffathalle

Von Stefan Sommer

Es fiept und rattert, als würde sich ein Modem 1999 in dieses sagenumwobene Internet einwählen. Der stotternde, suchende Ton rastet ein, wird zur Sirene, und die britische Band Mount Kimbie betritt die Bühne der Muffathalle. Vor quadratischen Monitoren, die hektisch flackern, als würde ihnen ein digitaler Dämon ausgetrieben, jagen die schwarz gekleideten Musiker hochgeputschte Neuinterpretationen alter Hits und Songs des jüngst erschienen dritten Albums durch ihre Gerätschaften.

"Love What Survives" heißt das neue Werk der Londoner DJs und Multiinstrumentalisten Dominic Maker und Kai Campos. Veröffentlicht auf dem legendären britischen Label Warp, das Ende der Neunzigerjahre Electronica-Paradiesvögel wie Aphex Twin oder Autechre entdeckt hat, setzten Mount Kimbie darauf langjährige Weggefährten wie die Sänger James Blake und King Krule mit wummernden, zirpenden Stücken perfekt in Szene. Maker und Campos, die nach sperrigen Remixen für The XX oder Foals früh als Pioniere einer avantgardistischen Clubmusik gepriesen wurden, erarbeiten sich auf "Love What Survives" neue Freiheit. Seit das Duo 2010 zusammen mit UK-House-Größen wie Hudson Mohawke und SBTRKT an vorderster Front das stagnierende Genre "Dubstep" aus seinem Kontext gelöst, mit R'n'B- Opulenz und Grime-Versatzstücken entmufft hat, klingt ihr typischer Frickel-Sound heute nun humaner. Mount Kimbie entwickeln sich von einem reinen Studio-Projekt weiter. Sie etablieren sich als Band mit Songs statt Skizzen und Gitarren statt Software.

In der Muffathalle funktioniert dieser fast anachronistische Popentwurf in Stücken wie "Blue Train Lines" oder "You Took Your Time", die auf der Platte vom rauen Gesang King Krules getragen werden, allerdings nur bedingt. Die zu einem Quartett gewachsene Band lässt bei ihrem Auftritt erkennen, wo die Grenzen ihres Konzepts liegen. Mögen Mount Kimbie 2017 auch eine virtuose, präzise und zweifellos mitreißende Live-Band sein, die mit Clubhits wie "Made To Stray" oder "Delta" zu Recht in allen Bestenlisten dieses Jahrzehnts vertreten sein wird, bleiben die Stücke ohne die Stimmen der Gastsänger nur die Instrumentals großer Popsongs.

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