Kurzkritik:Bombastisch

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Helene Fischers Show im Olympiastadion

Von Stefan Sommer, München

"Sag mal, spürst du das?" fragt sie ins Olympiastadion. Kurz neben ihr schießen Feuerbälle aus dem Bühnenboden in die Luft. Sie wiederholt hartnäckiger: "München, spürst du das?" In einem sehr roten, sehr sommerlichen Lack-Outfit überschlägt sich ihre Stimme dann sogar fast: "Spürst du das, München?" Die Worte erscheinen auf den beiden gigantischen LED-Leinwänden, der Bass verstummt und das Abschlussfeuerwerk setzt über Helene Fischer ein.

Bei ihrem bereits sechsten Auftritt in München 2018 zeigt die momentan erfolgreichste deutsche Sängerin mit ihrem Team, wie spektakuläre, zeitgemäße Massenunterhaltung aussieht. Fischer hat sich von den großen Samstagabendschlagerhitparaden längst emanzipiert: Die bombastische Stadionshow der Sängerin setzt voll auf die Freuden der Pyro-Technik und inszeniert sie als modernes Pop-Phänomen. Von den großen europäischen Electro-Festivals wie dem Tomorrowland in Belgien borgt sie sich die Feuershow und das Bühnenbild: ein gigantisches H wie Helene, bespielt mit allerlei tropischen Motiven, dient als zentrale LED-Leinwand. Von den einfallsreichen Anarcho-Shows der Hamburger Hip-Hopper Deichkind leiht Fischer sich die glitzernden Uniformen für ihre Tänzerinnen und Tänzer - immer wieder regnet es regenbogenbuntes Pulver, das Highlight des mittlerweile auch in Deutschland angekommenen indischen Holi Fests. Dazu reitet sie im Sado-Maso-Cowgirl-Dress maximal lasziv auf motorisierten Discokugel-Herzen, fährt auf das Dach eines Kleinwagens geschnallt - dem Helene-Mobil - wie am Palmsonntag durch die Menge und kommt für ihren Megahit "Atemlos durch die Nacht" mit einem monströsen Keyboard um den Hals hängend aus dem Bühnenboden gefahren.

Diese perfekt choreografierte Dauererregung, dieser selbstverschwenderische Körper- und Stimmeinsatz, diese hochfrequente Vollgas-Bespaßung an der Gaga-Grenze, um gemeinsam mit 58 000 Menschen im Olympiastadion nach rund drei Stunden bei der entscheidenden Frage des Konzerts - vielleicht jedes Konzerts - anzukommen: "München, spürst du das?" Aber ja doch.

© SZ vom 02.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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