Kurzkritik:Bier und Spiele

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Frédérick Gravel legt die Seele des Mannes bloß

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Quel odeur! Verschüttetes Bier und testosteron-satte Ausdünstungen ergeben eine ziemlich kernige Geruchsmischung. Vier Kerle in Unterhosen und Cowboystiefeln pflücken sich ihre Bierflaschen vom Tanzboden und legen beim folgenden infantilen Gepansche ein ähnlich schläfriges Temperament an den Tag wie der Sänger der Hillbilly-Songs vom Band. Der kanadische Choreograf Frédérick Gravel blättert seine Männerbilder aus dem Norden der USA, getanzt und basslastig stampfend vom Soundcomputer klangillustriert, in verschlankter Tourneeversion vor leider dünn besetzten Zuschauerreihen in der Muffathalle wieder neu auf. Die Dumpfbacken des Anfangsbilds legen im Laufe einer guten Stunde irgendwann dann doch noch kräftig zu. Der Titel "All Hell Is Breaking Loose, Honey" lässt dies vermuten.

Weil Frédérick Gravel ein skrupulöser Mann ist, der schon mal beherzt in die Saiten seiner E-Gitarre drischt, erklärt er gleich zu Beginn ebenso wortreich wie umständlich, warum man die Bierlachen sorgfältig aufwischen müsse. Nicht ohne selbstironisch und selbstreferenziell dabei auf die gelegentlich öde Einfallslosigkeit von Konzeptkunst zu verweisen. Er verrät all das, was man als Zuschauer nicht wissen will, zum Bespiel, dass dieses Stück keine Klimax kenne und immer schlechter werde, je länger es dauert.

Ein bisschen von allem trifft auf sein gelegentlich leer laufendes Höllenspektakel zu. Das Vergnügen aber überwiegt unbedingt. Wann sieht man schon einen Splitternackten mit blonder Allonge-Perücke, der in der Hocke eine Pole-dance-Stange rauf und runter rutscht? Oder wie vier Jungs, Hintern in die Höhe, Fäuste in den Boden gedreht, den Primatengang in Zeitlupentempo dekonstruieren. Um dann als bitterböse Buben mit Imponiergehabe selbdritt den schwachen Vierten zu drangsalieren. Am Schluss, da haben sie, freilich leicht derangiert und deshalb nur äußerlich und recht notdürftig zivilisiert, Hemd und Anzug an. Sie improvisieren, fest dem Boden verhaftet, jeder für sich, tanzend die Klimax - und unterlaufen damit geschmeidig Gravels perfide Desillusionierungsstrategie.

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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