Kurzkritik:Ausgeträumt

"The Nutcracker Reloaded" im Deutschen Theater

Von Eva-Elisabeth Fischer

Offenbar fühlen sich die Zuschauer durch den Kauf ihrer Eintrittskarte zu lautstarken Beifallsbekundungen verpflichtet: Standing ovations zur München-Premiere von "The Nutcracker Reloaded" im Deutschen Theater, brausender Jubel, der jedoch ganz schnell wieder verebbt. Möglicherweise in schönen Erinnerungen an den "Swan Lake Reloaded" schwelgend, freut man sich im vollbesetzten Haus abermals über knuffige Tänzer, die Mischung von Ballett und Streetdance, von Klassik und Pop, optisch verstärkt durch, zugegeben, fantastische Laser-Effekte, die einen tatsächlich in virtuelle Räume entführen.

Der schwedische Choreograf Frederik "Benke" Rydman will sichtlich an seinen Schwanensee-Hammer-Erfolg anknüpfen, der im Rotlicht- und Drogenmilieu spielt. In "The Nutcracker Reloaded" gehen Claras Eltern betteln, während ihre auf einem Müllberg verlassene, gar nicht mehr so kleine Kleine mit ihrer Clique Crack (Nutcracker, haha!) inhaliert und sich dann auf die Suche nach ihrer Familie macht. Ein paar Mädchen in Reihe 12 finden die Handlung rasend komisch und lachen pausenlos durch. Sie nerven mindestens ebenso wie der ellenlange Märchenonkel, der am Bühnenrande recht umständlich den Plot kommentiert.

Es gibt immer wieder Choreografen, welche die dürre Handlung des "Nussknackers" aufwerten wollen. Am besten gelungen ist das John Neumeier, der Clara, die von ihrem Onkel Drosselmeier einen Nussknacker geschenkt bekommt und mit diesem träumend fremde Länder bereist, als Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden zeichnet. Die Geschichte aufzuwerten, ist deshalb so schwierig, weil sie ja nur die reizvollen Tanznummern garniert. Hier schneit es, das ist hübsch, weiße Plastiktüten. Onkel Drosselmeyer, der sich jetzt mit "y" schreibt, ist ein vampiristischer Organhändler. Und der zum Prinzen verwandelte Nussknacker trägt Base-Cap. Bis endlich alles halb gut wird, läuft sich die Mechanik des Immergleichen aber unweigerlich tot.

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