Kurzkritik:Archaische Wucht

Verdis "Messa da Requiem" in der Philharmonie

Von Klaus P. Richter

November ist rituelle Requiem-Zeit. Wer aber vom alten liturgischen Ritus des Requiems mit seiner langen Geschichte kommt, gar von Mozart und Brahms, wird bei Verdi immer wieder mit geballter Dramatik herausgefordert. Freilich, der Anfang seiner "Messa da Requiem" im verschatteten doppelten Piano atmet noch pietätvolle Totenruhe. Aber es ist die Ruhe vor dem Sturm. Ein erstes kleines Crescendo warnt, und spätestens im "Dies irae" tobt er mit archaischer Wucht als lodernder Totentanz los: Verdi schreibt auch der "Ewigen Ruhe" ein Musikdrama.

Hansjörg Albrecht dosiert zwar in der Philharmonie im Gasteig klug die geballten Massen zweier Chöre, vor allem in den Tempi, lässt aber keinen Effekt aus. Das zeigt sich besonders in den heftigen theatralischen Umschwüngen zwischen Agitato und Morendo und den dynamischen Wechseln von schroffen Sforzati zum Piano und bei den fulminanten Crescendo-Steigerungen. Sein Münchener Bach-Chor, von dem eine legendäre Aufführung 1969 unter Karl Richter in Erinnerung ist, vollzieht alles mit staunenswerter Präzision mit. Noch staunenswerter ist, wie die Kollaboration mit dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn klappt: ein nahtloses Ensemblespiel von mehr als hundert Choristen bis hinein in die achtstimmigen Sätze. Auch das PKF-Prague Philharmonia-Orchester zeigte vor allem im Ausleuchten koloristischer Nuancen und mit seinem Bläserensemble beste böhmische Musikkultur. Und obwohl das erfahrene Operngenie Verdi genauso höchste Anforderungen an seine Solisten stellt, gelangen auch hier eindrucksvolle Ensembleleistungen: die Duette der beiden Solistinnen - Daria Masiero, als strahlender Sopran und Rosanna Rinaldi als Mezzosopran mit schönen Tiefen - und die Quartette zusammen mit dem Tenor Mario Zeffiri und dem eindringlichen Bass Carlo Colombara.

Vielleicht funktionierte diese ungewöhnliche musikalische Kooperation so gut, weil sie auch eine gesellschaftlich kulturelle ist: Frucht eines neuen politischen Freundschaftsabkommens zwischen Bayern und Tschechien, das eine Brücke zwischen den beiden Nachbarkulturen schlagen soll. Deshalb trifft man sich auch im St. Veits Dom von Prag zu einer zweiten Aufführung.

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