Kurras, Springer und die Stasi:Betonköpfe und Märchenprinzen

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Nichts als Krawall: Die Behauptung, Rudolf Augstein habe für die "Enteignet-Springer"-Kampagne bezahlt, ist falsch.

Hans Leyendecker

Als Studenten "Enteignet Springer"-Plaketten an den Rockaufschlägen wie Ausweise trugen, etwa von Herbst 1967 an, trat der Verleger Axel Cäsar Springer vor dem Hamburger Übersee-Club auf, um über das Böse zu reden: "Ich stelle fest: Die Parole von der Enteignung stammt von drüben", sagte er. "Ganz plötzlich ist diese große, große Hetzkampagne da!...Da muss ja wohl jemand dran gedreht haben."

Die Straßenecke der Versöhnung: 2008 wird die Kochstraße zu Ehren des Anti-Springer-Protestlers Rudi Dutschke umbenannt. (Foto: Foto: Reuters)

Wer die Enteignung Springers verlange, kommentierte Rudolf Augstein damals im Spiegel, bewirke "außer dem Krawall nur das Gegenteil". - "In keiner pluralistischen Gesellschaft kann ein Konzern einem Eigner in Bausch und Bogen weggenommen werden." Die "griffige Parole Enteignet Springer" zeige, dass "auch Studenten nichts mehr scheuen, als sich in Vernunft zu üben".

Gut vier Jahrzehnte später, in den Tagen der allgemeinen Rechthaberei, die nach der Enttarnung der Stasi-Knallcharge Karl-Heinz Kurras ausgebrochen ist, wird unter Verweis auf einen FAZ-Beitrag des Schriftstellers Peter Schneider behauptet, Augstein und der damalige Stern-Chef Henri Nannen hätten Anti-Springer-Aktionen finanziell großzügig unterstützt. "Zahlten Stern und Spiegel die Enteignet-Springer-Kampagne?" fragte Bild unschuldig. "Ich finde, es wäre an der Zeit, dass sich die uneinsichtigen Protagonisten der 68er-Bewegung mal bei unserem Haus entschuldigen", verlangte der Springer-Chef Mathias Döpfner, Jahrgang 1963, am vergangenen Sonntag in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

Flach und glatt wie geschickt geworfene Kiesel hüpfen die Argumente über die eigentlichen Untiefen des Themas. "Durch eine Pro-Springer-Kampagne soll offenkundig die alte Anti-Springer-Debatte ausgelöscht werden", sagt Schneider, der die neue Debatte ausgelöst hat. Und irgendwie soll hinter allem angeblich wieder die Staatssicherheit der DDR gesteckt haben.

Das Problem beginnt damit, dass Schneider seinen Zeitungsbeitrag im Urlaub in Italien schrieb und Nannen mit dem Verleger Gerd Bucerius verwechselte. Wichtiger aber noch als dieses Detail ist bei Sichtung alter Folianten und Dokumente, dass damals über eine ganz andere Frage als heute diskutiert wurde. Die Frage lautete: Gefährdet die Vormachtstellung des Verlegers Axel Springer die durch Verfassung garantierte Meinungsfreiheit und die Demokratie? Diese Frage wurde gestellt von Professoren, von Schriftstellern, von Gewerkschaftlern, von Verlegern und auch von Journalisten.

"Gib's Ihnen, Rudi!"

Denn Springer hatte damals einen Trust gezimmert, der in der Welt fast ohne Beispiel war. Aus seinem Haus stammten 1967, so hatte es damals jedenfalls der Spiegel ausgerechnet, rund 88 Prozent der verkauften Sonntagszeitungen, 81 Prozent aller Straßenverkaufszeitungen, je 70 Prozent der in Berlin und Hamburg vertriebenen Zeitungen, 56 Prozent der Programmhefte. Und einige dieser Blätter schrieben über studentische Demonstranten ("Ausmerzen"), als führte ihnen der Schah von Persien die Feder.

Der Verleger Gerd Bucerius, dem damals die Zeit gehörte und der auch am Stern beteiligt war, sympathisierte mit den jungen Protestlern und feuerte etwa den Studentenführer Rudi Dutschke an: "Gib's ihnen, Rudi." Bucerius hatte bereits 1961 geschrieben, "dass die publizistische Macht des Hauses Springer an die äußerste Grenze dessen gekommen ist, was ein Staat hinnehmen kann". Ein paar Jahre später merkte Bucerius an, die Macht des Großverlegers gefährde die Verfassung. Augstein ermunterte mit Blick auf den "Großkönig" Springer zum Kampf gegen "Feudalherren und Partikular-Interessen".

1967 bildete der Bundestag eine Kommission, um die "Folgen der Konzentration für die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik" aufzuspüren. Der damalige Bundesgeschäftsführer der FDP rief im selben Jahr die Abgeordneten auf, ein Bundespresse-Rahmengesetz zu erlassen und die Macht des Verlegers Axel Cäsar Springer zu beschneiden. Aber die Abgeordneten drückten sich vor allem aus Angst vor Rüpeleien der Bild-Zeitung vor zu kritischen Fragen. Springer gab sich intern sicher, die Parlamentarier würden es nicht wagen, ihn an die Kandare zu nehmen. In einem Verlagsrundbrief beschrieb er diese Erwartung so: "Im gegenwärtigen Moment ist es sehr unwahrscheinlich, dass Anhänger der Anti-Springer-Kampagne einen Bundestagsabgeordneten finden, der bereit wäre, ein Gesetz zur Auflagenlimitierung oder gar zur Enteignung einzubringen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Augstein versuchte, Springer Paroli zu bieten.

Der spätere SPD-Kanzler Helmut Schmidt hatte bereits 1966 eine auflagenbremsende "Lex Springer" als "politischen Selbstmord" bezeichnet. Die Politiker "dienern und wienern", um Springer "gnädig zu stimmen", merkte Augstein bitter und vergnügt zugleich an.

Verschiedene Projekte wie die Gründung von Zeitungen mit Titeln wie "Deutsche Allgemeine Zeitung" oder "Heute", die Springer zumindest in Berlin Konkurrenz hätten machen können, wurden von Augstein und mitunter auch von Bucerius angeschoben und doch wieder fallen gelassen. Einmal hatte Augstein die Idee, mit Richard Gruner und John Jahr sowie Bucerius eine Verlagsehe zu schließen, um Springer Paroli zu bieten, auch daraus wurde nichts.

Die Betonköpfe der SED und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) schauten dem Treiben interessiert zu und versuchten, im Geheimen kräftig mitzumischen. Für sie verkörperte Springer den perfekten Klassenfeind; auch weil er angeblich die Arbeiterklasse manipulierte und weil viele Drucker aus dem Osten in den Westen gegangen waren, da Springer gut zahlte. Mit Hilfe von Broschüren, Agenten und Agitation betrieben SED und MfS zunächst ihre eigene Anti-Springer-Kampagne.

Beim Zentralkomitee der SED, Abteilung 62, wurde 1967 eine "Arbeitsgruppe zur Unterstützung der Anti-Springer-Kampagne in Westdeutschland und Westberlin" gebildet. Einer von drei Stasi-Forschern, deren Studie "Feind-Bild-Springer" in Kürze erscheinen soll, hat in einem Gespräch mit der zum Springer-Verlag gehörenden Welt am Sonntag neulich behauptet, das Zeitungsexperiment von Augstein sei ein Beleg dafür, dass es für eine Anti-Springer-Kampagne der Stasi "so etwas wie Ansprechpartner im Westen" gegeben habe.

Schlingernde Thesenfolge

Diesen Verdacht begründet er unter anderem mit dem Hinweis, die Nullnummern der Blätter seien auch von Stasi-Agenten mitproduziert worden. Gleichzeitig verweist er darauf, Augstein habe sich "nicht zuletzt" aus dem Projekt zurückgezogen, weil einige aus dem Redaktionsstab mit der DDR sympathisiert hätten. Diese schlingernde Thesenfolge ist angesichts der vorliegenden Augstein-Forschung noch verwegener, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. An die Stasi hat Augstein nun wirklich nicht gedacht. Für das Thema Springer und die Stasi aber heißt solche Geschichtsauslegung: Wenn alles Stasi ist, ist nichts mehr Stasi.

In diesen Tagen gerät vieles durcheinander, was sortiert werden müsste: Die Enteignet-Springer-Kampagne hat es gegeben. Die Parole tauchte erstmals in einem Blatt auf, das von der SED mitfinanziert wurde. Später wurde dann die Zeitschrift Metall der IG-Metall zum Großtrommler gegen Springers Macht. Daneben wurde in Berlin von Aktivisten wie Peter Schneider ein Springer-Tribunal vorbereitetet, und es existierte ein "Institut für Gegenöffentlichkeit", das mit den Studenten der sogenannten Kritischen Universität verbandelt war.

Dieses Institut sollte vor allem die Praktiken der Springer-Blätter untersuchen, wie sich der frühere Aktivist und spätere Hannoveraner Politikwissenschaftler Professor Bernhard Blanke erinnert. Augstein und Bucerius erst hätten den Betrieb dieses Instituts durch Zahlungen von jeweils 50000 Mark ermöglicht. Als Schneider sich dieser Tage nicht ganz korrekt an die Abläufe erinnerte, meinte er eigentlich nur das Institut. Augstein hatte ein Faible für Institute.

Aufklärung statt Inquisition

Wann hat wer was warum bekommen? Ausweislich von Notizen Augsteins hat er einmal Schneider 5000 Mark zukommen lassen. "Ich kann mich nicht erinnern", sagt Schneider. "Wenn es so war, habe ich das Geld sicherlich weitergeleitet." Für die Enteignet-Springer-Kampagne oder für das geplante Tribunal zahlten beide Verleger nach den vorliegenden Unterlagen keine Mark. Sie weigerten sich sogar, die Veranstaltung zu unterstützen. In einem dreiseitigen Brief hat Augstein den Bittsteller Schneider abfahren lassen.

Augsteins Haltung zu Springer war recht kompliziert. Er hielt den Zeitungs-Tycoon für den "tüchtigsten Geschäftsmann der Republik" und für einen "Märchenprinzen", der nie ein richtiger Journalist war. Der Spiegel wurde seit Mitte der sechziger Jahre auf Springers modernsten Tiefdruckmaschinen in Ahrensburg und Darmstadt gedruckt. "Damals erhoben die Linken ihr Haupt und schüttelten es", schrieb Augstein später.

Das geplante Tribunal fand Augstein "unnütz, ja schädlich". Er argumentierte in einem Brief an Schneider ähnlich wie der Philosoph Jürgen Habermas, der nicht kommen mochte, weil er ein "Forum der Aufklärung und systematischen Erweiterung des politischen Bewusstseins, nicht der Inquisition" wollte. Schneider bat damals das DDR-Innenministerium, dem Liedermacher Wolf Biermann die Ausreise fürs Tribunal zu erlauben. Das Ministerium mochte nicht. Dabei sollte Biermann die Rolle des Verteidigers von Springer übernehmen und der Anwalt Horst Mahler sollte der Ankläger sein. Es wurde damals auch viel politisches Theater gespielt.

Am 2. Februar 1968 fand ohne Biermann das Happening statt, das nur noch "Hearing" hieß. Die Stasi war natürlich auch mit dabei und berichtete den Daheimgebliebenen, die Veranstaltung habe zwar stattgefunden, "jedoch nichts erreicht".

© SZ vom 10.06.2009/kar - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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